Bisher kannte man ANGEL OLSEN als aufstrebende Songwritering aus dem Genre Folk und Americana, die ihre ersten Erfahrungen an er Seite von Bonnie "Prince" Billy sammelte. Aber bereits ihr drittes, 2014 erschienenes Album "Burn Your Fire for No Witness" zeigte, dass die aus St. Louis/Missouri stammende Künstlerin sich nicht scheut, neue Wege zu gehen.
Waren ihre ersten beiden Alben "Strange Cati" (2011) und "Half Way Home" (2012) noch fest im Folk verwurzelt, deutet sich mir der 2014er-Singel "Hi-Five" an, dass Angel auch poppigere und sogar rockige Töne beherrscht.
Die auf "Burn Your Fire for No Witness" erstmals aufgetretene erfrischende Aufmüpfig- und Kratzbürstigkeit hat Angel auf ihrem neuen Album "My Woman" nun weiter kultiviert. Nach der ersten Singleauskopplung "Intern" hagelte es in der Fachpresse und auch hier Vergleiche mit Lana del Rey. Was für ein neuer Sound! Frau Olsen entdeckt den Synthesizer! Was für eine Laszivität! Und was kommt nun?Überraschung! Überraschung! Madame Olsen kann auch rocken! Konnte man bisher nur im Ansatz IndieRock-Einflüsse in ihrer Musik ausmachen, treten diese nun an einigen Stellen offen zu Tage. Aber keine Angst, denn man wird langsam herangeführt an den neuen Sound, der neben rockigen Nummern sein Zuhause besonders in schlecht ausgeleuchteten und rot schimmernden Plüschräumen mit Getränkeausschank finden dürfte. Eine Auswirkung des letzten Konzertes (s. Bericht) im Kölner King Georg ;-)?
Angel Olsen - Intern (trailer) von scdistribution
Das Album beginnt mit dem bekannten "Intern" und präsentiert an zweiter Stelle, einen verträumten Popsong namens "Never be Mine" der zarten Sixties-Flair versprüht und eine Laszivität in Olsens Stimme offenbart, die man von der Songwriterin bisher nur erahnen konnte.
Dann lässt Angel die Gitarren los! "Shut Up Kiss Me" zeigt nicht nur im Titel das neue Selbstbewusstsein. Wunderbar wie sie gelernt hat mit ihrer Stimme zu spielen. Mal klingt sie zerbrechlich, mal erotisch-lasziv und mal überschlägt sie sich und klingt rotzig. Von der Künstlerin, die sich auf ihren ersten beiden Alben an traditionellen aber leicht verquerten Folksongs und Fingerpicking übte, ist nur noch wenig übrig geblieben. Angel Olsen hat ihren eigenen Stil gefunden. Genregrenzen sind niedergerissen. Der Olsen-Sound kling nach FolkRock, IndieRock, SixtiesPop und dank ihrer charakteristischen Stimme eben nach Olsen.
Angel Olsen - Shut Up Kiss Me (Official Video) von scdistribution
Die ersten Takte von "Give It Up" klingen tatsächlich nach Nirvana, aber mit Einsetzen des Schlagzeugs und der Twang-Gitarre sind wieder die Sixties präsent - aber in ein modernes rumpelndes Grunge-Light-Soundgewand verpackt. Bei "Not Gonna Kill You" klingt Angels Stimme flehend, der Song rockt, hat aber auch DreamPop-Momente und streichelt sogar sanft am Shoegaze vorbei. Verdammt Miss Olsen hat Bock auf das Album des Jahres! Und dieses Jahr ist ein wirklich fettes!
"Heart Shaped Face": Herzschlagbeat. Wieder eine Gitarre mit Twang und wieder diese Stimme, die Eisberge schmelzen lässt. Deutlich schimmert die musikalische Folk-Vergangheit in keinem anderen Song auf "My Woman" hervor. Wahrscheinlich kann man zu "Heart Shaped Face" die ganze Nacht durch engumschlungen Blues tanzen.
Nur wer wagt, gewinnt! Mit "Sister" wagt sich Angel an eine Ballade in Überlänge (7:45 Min.). Die Gitarre weint, Sehnsucht tropft stetig aus dem eigentlich monotonen Stück, das nur ab und an in den ersten beiden Dritteln das Tempo wechselt. Der Zuhörer wird bis zum fulminanten Schlussdrittel zärtlich umhüllt und dann erinnert "Sister" an die wirklich großen Balladen von Neil Young.
Angel Olsen - Sister (Official Video) von jon-chew
Fast übergangslos fließt das Album zum nächsten Stück "Those Were The Days", das mit einem sanften jazzigen Groove und Keys ein weiteres neues Spektrum im Musikuniversum von Frau Olsen zeigt. Sollte irgendwer auf die Idee kommen, die hocherotische Szene aus "Die fabelhaften Baker Boys", wo sich Michelle Pfeiffer im roten Abendkleid auf dem Klavier räkelt, mit neuer Musik zu unterfüttern. Take this Song!
Der Albumtitelsong "My Woman" erreicht ebenfalls epische Länge (7:33 Min). Auch hier setzt Olsen und ihre Band auf weinerliche Klänge, aber im Gegensatz zu "Sister" gelingt es nicht, über die gesamte Strecke einen Spannungsbogen aufzubauen. Böse Zungen würden sagen, es plätschert etwas zu sehr und die Gitarren-Intermezzos sind etwas zu bieder.
Das Ende des herausragenden Albums markiert das geisterhafte "Pops". Das Klavier klingt als stünde es in einem feuchten Gewölbekeller und Olsen singt als wäre sie ein Wesen aus dem nicht greifbaren Zwielicht.
Im Oktober kommt Angel Olsen mit ihrer Band für 4 Konzerte nach Deutschland (Hamburg, Berlin, München und Köln.) Wer nicht hingeht, könnte eines der Ereignisse des Jahres verpassen!
Tracklist:
01 Intern
02 Never Be Mine
03 Shut Up Kiss Me
04 Give It Up
05 Not Gonna Kill You
06 Heart Shaped Face
07 Sister
08 Those Were The Days
09 Woman
10 Pops
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