Date: 27.06.2016
Aber wahrscheinlich hätte ich es mir trotzdem nicht nehmen lassen, am Montag, den 27.06.2016, am Tag des totalen BrEXIT, Ty Segall and the Muggers live zu erleben ;-).
Wie immer sind wir, mein treuer Konzertbegleiter C., die Unverwüstliche V., sowie die unzertrennlichen M&M und meine Wenigkeit recht zeitig am G9 in Köln-Deutz. Der nasse Sommer legt eine kurze Pinkelpause ein, weswegen man endlich mal wieder ein kühles Becks im Freien genießen kann. Die Vorfreude auf den manisch-magischen Gitarrenwixer Ty Segall ist gigantisch und aus Insiderkreisen erfahren wir, dass es wohl verdammt laut werden wird, und dass es neben der bereits ergoogelten Vorband Zentralheizung of Death des Todes noch eine weitere geben wird. Der weibliche Part von M&M dreht sich daraufhin mit Nivea-Creme und Taschentüchern DIY-Hörschutzkugel, die aussehen wie Drogenbällchen.
20:30 Ortszeit geht es endlich los. Die Zentralheizung of Death des Todes gefallen mit Garagenpunk meets Surf, der sich um Genregrenzen einen Scheißdreck kümmert und so herzerfrischend anarchistisch klingt, dass ich von den herrlich Bekloppten nach dem Konzert sehr gerne Vinyl einsacken würde - gibt es aber leider nicht, aber Tante Google gönnt mir am Tag danach entsprechende Treffer :-(.
Die Band speist sich übrigens aus Mitgliedern aus Berlin, Leipzig und Erfurt, wurde in letztgenannter Stadt gegründet und passt mit ihrem schrägen Outfit und Sound perfekt als Support für den Krachmacher Segall aus Kalifornien. Besonders pitoresk ist übrigens der Ein-bisschen-Frieden-Nicole-Gedächtnis-Haarschnitt des einzigen weiblichen Mitglieds der aktuell als Quartett agierenden Band. I love Zentralheizung!
Der nächste Act sind die Ausmuteants aus Melbourne. Leider fehlt der Band alles, was die ZHOD so liebenswert und spannend macht. Die australische Band besteht aus vier Posern, die sich als wütende böse und obercoole Jungs präsentieren, die gerne Rockstars wären, aber mehr wirken, als wären sie eine Schülerband. Die Kombination aus Punk und flirrenden billigen Keyboard-Sounds ging mir schon nach wenigen Minuten ziemlich auf die Nüsse. Wenn schon schimpfen und pöbeln, dann bitte richtig - siehe Sleaford Mods!
Um 22:30 erklingen die langersehnten Worte "Señora y Señores, directo de Los Angeles, California presentamo Los Muggers". Aber was müssen meine enttäuschten Augen sehen, Ty trägt nicht die wunderbar scheußliche Babymutanten-Maske, sondern nur seinen Kapuzen-Sweater tief ins Gesicht gezogen, aber dafür stimmt der Sound direkt vom ersten Song an.
Wie bei der hochkarätig besetzten Begleitband u. a. King Tuff und Mikal Cronin) zu erwarten war, wirft Segall den LoFi-Gedanken - den ich eigentlich sehr bei seinen Werken schätzte - über Bord und gibt den Zuhörern ein ordentliches Brett. Fett! Fett! Fett!
Segall und die Muggers sind exzellent aufeinander eingespielt. Obwohl sein Sound ja eigentlich eher sperrig und unkonventionell ist, klingt hier kein Stück auch nur ansatzweise nach Diletantismus oder Lo-Fi. Die Riffs sitzen perfekt, stechen messerscharf und punktgenau. Die versteckten Melodien schälen sich untadelig aus dem Sound-Tornado, welcher sich hervorragend für eine ordentliche Hirmwäsche eignet und live stellenweise sogar an ProgRock-Orgien aus den drogenverhangenen Seventies erinnert.
Das Publikum, überdurchschnittlich geprägt von langen schlechten Haarschnitten und deutlich mehr Frauen als erwartet, hat er unverzüglich auf seiner Seite. Man gibt sich hin. Wer mit gigantomanischen Songs wie "Squealer" oder "Emotional Mugger/Leopard Priestes" seinen Alltagsfrust abschütteln will, ist hier definitiv richtig. Immer wieder werden Personen auf Händen durch das Publikum getragen und beim Monster-Hit "Candy Sam" ist die aufgewühlte Meute nicht mehr zu halten. Die Intensität und die Perfektion dieser Band ist zum Greifen spürbar. Als alter Sack darf ich erwähnen, dass ich mich durchaus auch in einigen Momenten an einen gewissen Herrn Zappa erinnert fühle.
Das besonderes Schmankerl an diesem Abend wird serviert, als Ty und die Muggers eine Garage-Rock-Version von "L. A. Woman" von The Doors zum Besten geben, die Ty seiner Mutter, einer L. A. Woman, widmet. Großartig! Knapp 80 Minuten spielt die Band und ich bin am Ende schwer beeindruckt vom Derwisch des schmutzigen GaragenRocks, der mit den Muggers wohl die Band gefunden hat, die in Perfektion umsetzt, was sich der Kalifornier in seinem nimmermüden Hirn ausbrütet. Aber trotzdem hoffe ich, dass es bald auch wieder Schnellschüsse des Workoholics gibt, die nicht so perfekt ausgearbeitet sind, sondern gerade durch das Skizzenhafte hervorstechen.
Für Fotos oder gar Filmen war an diesem Abend jede Minute zu schade, deswegen an dieser Stelle das von Arte präsentiert Konzert des Meisters vom Musikfestival Villette Sonique in Paris. Enjoy und wer noch nicht im Besitz des aktuellen Meisterwerkes "Emotional Mugger" ist, darf sich gerne noch die Rezension vom Februar zu Gemüte führen und dann einen Platz für den Neuling im Plattenregal schaffen!
Ö ... und gute Heimfahrt für die Engländer ;-)