Date: 18.10.2016
Support: Pill
Für Mitte Oktober ist der Abend ziemlich lau und als wir uns zu neunt am Eingang des G9 treffen, lässt sich noch prima ein Spätsommer-Becks im Freien genießen. Ausverkauft wird das heute Abend wohl nicht, aber das spielt ja keine Rolle, wie gerade erst wieder das wohl fantastische Konzert - so mein treuer Konzertbegleiter C. - von P. J. Harvey im Palladium bewiesen hat.
Erste positive Überraschung: Der Merchandisestand ist prall gefüllt mit Vinyl und zu unserer Freude liegen da auch Scheiben einer Band namens PILL aus, was darauf schließen lässt, dass es wohl doch einen Support-Act geben wird.
Ziemlich pünklich um 20:30 erklingen die ersten schrägen Töne aus dem Konzertsaal, wohin wir uns dann auch schleunigst begeben. Auf der Bühne steht ein Quartett, das mit kakophonieartigen Tönen aus einem Saxofon sofort die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Das schmerzt stellenweise in den Ohren, hat aber eine immense Präsenz und Wucht. Die Stimme der Sängerin Veronica Torres geht durch Mark und Bein und passt, wenn man sich erstmal daran gewöhnt hat, auch ziemlich gut zum infernalischen PostPunk-meets-Noise-meets-Jazz-Sound.
Wie sich heraustellt, stammt die Band aus Brooklyn und wurde vom Parquet Courts Lead-Sänger Andrew Savage auf der Suche nach interessanten Bands für sein Label Dull Tools entdeckt. Im August erschien dann das Debütalbum "Convenience", allerdings bei einem anderen New Yorker Label (Kemado Records / Mexican Summer) und nun also auf Tour mit den Parquet Courts - kann schlechter laufen für eine Band, die noch keine zwei Jahre zusammen ist.
Diese Pille ist auf jeden Fall alles andere als eine Beruhigungspille! Für den ein oder anderen in unserer Gruppe ist das etwas zu schwere Kost. Frau H. liebäugelt schon mit einer frühzeitigen Heimkehr, aber besonders beim männlichen Anteil erwärmt man sich zusehend für den furiosen Gig von Pill. Es fallen Vergleiche zu Pere Ubu, The Mars Volta und den Slits!
Die Mixtur aus FreeJazz, New Wave und PunkArt lebt vom Freiraum, dem die Musiker ihren Instrumenten geben. Obwohl die Songs in sich geschlossen sind, scheint jeder ganz wie beim FreeJazz auch immer und jederzeit ausbrechen zu dürfen. So wechseln sich Schlagzeuger Andrew Spaulding, Gitarrist Jon Campolo und Saxofonist Benjamin Jaffe in ihren exstatischen Ausbrüchen immer wieder ab, während Frontfrau Veronica Torres souverän den roten Faden mit feministisch geprägten Texten spinnt.
Natürlich wandert an diesem Abend auch das Vinyl von Pill (danke für das Signing an Bad Roni) in meine Tasche und beim Hören Zuhause kristallisieren sich doch tatsächlich so etwas wie Hits aus dem Album. Wer es nicht glauben mag, sollte sich die Pill-Songs "My Rights", "Fetish Queen", "Dead Boys", "Sex with Santa", "Vagabond" und "Medicine" mal mehrfach auf der Zunge zergehen lassen. Danke für einen endlich mal wieder großartigen Support-Act!
Dann kommen die PARQUET COURTS. Der Einstieg ist fulminant! Die vier Herren feuern direkt aus allen Rohren und schießen mit "Docking and Dodging" vom 2014er Album "Sunbathing Animals" einen ihrer stärksten Songs direkt zu Beginn ab. Die Köpfe im Publikum beginnen sofort zu wackeln, aber die höchste Gefahr für ein Schütteltrauma hat Bassist Sean Yeaton, der sein mittlerweile schulterlanges Haar bangt wie ein wildes Heavy-Metal-Girl.
Interessant zu sehen ist, wie sich die Band auf der Bühne positioniert hat. Lead-Sänger Andrew Savage befindet sich links am Bühnenrand und Gitarrist Austin Brown, der übrigens nicht nur aussieht wie ein Doppelgänger Thorsten Moores, sondern auch in seinen Gesten an den Frontmann von Sonic Youth erinnert, am rechten Bühnenrand. Im Zentrum steht der Bassist und Schlagzeuger Max Savage dahinter, wobei letztere ein Mittel für Unsichtbarkeit gefunden zu haben scheint, denn im nachinein fällt mir auf, dass ich so gut wie nie auf sein Trommeln aufmerksam wurde - das war beim Support Pill übrigens ganz anders.
Die zweite Nummer ist der potentielle Hit vom aktuellen Album: "Dust", eine sehr rhythmusbetonte Nummer mit witzigem Text, die sich wie die gesamte neue Platte etwas vom Garage-PunkRock der Frühzeit enfernt und in dem ich stellenweise sogar Ähnlichkeiten zu einigen Talking Heads-Songs (man höre ("One Man, No City") ausmache.
Nach dem bärenstarken Opening wird es allerdings zu einem sehr schwankenden Abend, das liegt an viellerlei Dingen. Erstens die Band hat Songs von sehr unterschiedlicher Qualität und viele Songs, die sich ähneln, zweitens die Band spielt verdammt perfekt. Es erinnert mich an Konzerte von den Foals oder The Coral, wo die Perfektion den Spaß, welchen man live einfach gerne spüren möchte, zurückdrängt. Das spielt bei Bands mit fast ausnahmslos starkem Songmaterial und die auch auf Platte einen Hang zur Perfektion haben, wie eben die Foals oder The Coral, weniger eine Rolle als bei Bands wie den Parquet Courts, die auf ihren Platten ja durchaus auch eine gewissen Dirtyness transportieren oder besser kultivieren.
Drittens die Band wirkt bis auf Thorsten Moore-Double Austin Brown irgendwie arrogant und/oder genervt. Das liegt am unterkühlten Auftritt, der zwar die typsiche Schnoddrigkeit der Songs unterstreicht, aber auch an den seltsam lustlosen und launischen Ansagen, welche die Band während des Konzertes, zum Beispiel an ein paar vor der Bühne herumhüpfenden Kids von sich gibt. Unsicherheit ist es bei einer so liveerprobten und erfolgreichen Band doch wohl nicht, also muss es Arroganz sein oder hatten die Herren an diesem Abend einfach einen schlechten Tag?
Aber wie gesagt, es schwankte hin und her, denn klanglich und handwerklich überzeugte die Band und immer wieder schlugen Highlights wie das großartige "Borrowed Time" vom Monster-Album "Light up Gold" aber auch neue Songs wie "Human Perfromance" auf der positiven Seite zu buchen. Letztendlich kaufte sich dann aber sogar mein treuer Konzertbegleiter C. nach dem Konzert ein Vinyl der Parquet Courts, obwohl er mehr Punkte auf der Soll- als auf der Haben-Seite verbuchte, weil sie machen halt schon geile Musik diese New Yorker.
Ö
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