Date: 28.10.2016
Die musikalische Weiterentwicklung der mittlerweile 29-jährigen Künstlerin, die mit dem aktuellen Album "My Woman" viele überraschte, weil sie neue Wege beschritt, zeigte sich auch eindrucksvoll auf der Bühne. Die Metamorphose von der Folk-Singer/Songwriterin zum Gesamtkunstwerk Angel Olsen ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch.
Aber vor dem Haupt-Act steht der Support, und weil dieser an diesem Abend der beste, den ich dieses Jahr erleben durfte war, dauert es noch einige Zeilen, bis weitere Worte zu Madame Olsen folgen.
19:45 der Saal ist noch nicht wirklich gefüllt, da steht ein Mann mit einer Pudelmütze mit Golfer-Männchen-Stickerei, im Holzfällerhemd und mit wirrem Rauschebart auf der Bühne. Er beginnt zu singen und man merkt, wie das Publikum urplötzlich die Aufmerksamkeit erhöht. Die senore, an Bill Callahan erinnernde Stimme, gehört dem 1972 in Alabama geborenem Kyle Field, der schon als Kind nach Kalifornien übersiedelte und so behauptet Wikipedia, als Surferboy aufwuchs - das derzeitige Erscheinungsbild passt allerdings viel mehr zu seinem Geburtsort.
Seine musikalische Karriere begann Kyle als Bassist und Sänger in der Band Rodriguez an der Seite von M. Ward, der sicher auch Einigen ein Begriff sein dürfte. Die Band gründete sich 1992 und löste sich nach der Veröffentlichung des Debütalbums "Swing Like A Metronome" 2000 auf.
Noch im gleichen Jahr begann Fields unter dem Bandnamen LITTLE WINGS mit wechselnden Musikern an seiner Seite sein eigenes Ding zu machen.
Heute Abend stehen neben ihm auf der Bühne ein Bassist und ein Schlagzeuger, aber wer das Zepter in der Hand hält, ist unverkennbar.
Fields wirkt wunderbar spleenig. Er wechselt immer wieder zwischen seiner tiefen Stimme und einer Kopfstimme, die gerne auch mal bricht. Er gluckst und giggelt, generiert gutturale Laute, die man noch nie gehört hat und macht herrlich unkonventionelle Tanzdarbietungen. Von Song zu Song entledigt er sich seiner Klamotten und steht schließlich nur noch im Schlumpfshirt, das von zahlreichen Löchern durchsetzt ist und weißer Leinenhose auf der Bühne. Dieser Mann schert sich einen Scheiß darum, was die Leute von ihm denken. Was sie von ihm und seiner Musik halten, wird allerdings immer deutlicher, denn der Applaus nach jedem Song wächst stetig.
Auch in unserer achtköpfigen Konzertbesuchergruppe leuchten die Augen zusehends und man fragt sich, weshalb niemand bisher auf diese Band aufmerksam geworden ist, nur Nina erinnert sich, dass sie die Band wohl schon einmal als Support gesehen hat.
Die Songs, vorwiegend aus dem 2014 aufgenommenen Album "Explains", sind eigentlich klassische Folksongs, die aber durch das Arrangement und vor allem das ungewöhnliche Schlagzeugspiel Jazz und Surfsounds integrieren. Die Texte sind witzig, charmant und voller Ironie, ganz besonders, der leider noch nicht auf Vinyl erschienene Song "What can you say about Paradis?", den Field erst während der Tournee mit Angel schrieb, ist ein echtes Highlight, welcher sicher auf dem nächsten Longplayer zu finden sein wird.
Selbstverständlich komme ich nach dem Konzert nicht umhin, die aktuelle LP zu erwerben, die ich hiermit allen Freunden von handgemachter Musik wärmstens empfehlen möchte. Zwar geht etwas von der Live-Magie, die Field umgibt, auf der Konserve verloren, weil eben die Inbrunst, mit der er als geschichtenerzählender Troubadour die Bühne beherrscht, nur erahnt werden kann, aber trotzdem gehört das Album nach nur zweimaligem Durchhören schon zu meinen liebsten Folk-Alben in meiner nicht armseeligen Plattensammlung. Mein treuer Konzertbegleiter C., der diesen Abend verpasste, darf sich getrost in den Arsch gekniffen fühlen.
Nach kurzer Pause mit ausgiebigem Bühnenumbau - silberfarbenes Tuch schmückt das Keyboard, so dass ich auf den Einsatz der aus Angels letztem Video ("Shut Up Kiss Me") bekannten Lametta-Perücke spekuliere - betritt der Engel, dieses Mal, entgegen dem Drei-Mann-Aufttritt im King Georg mit fünf weiteren Musikern die Bühne. Die Lametta-Perücke fehlt allerdings, ebenso wie die rote Strumpfhose beim letzten Mal.
Das Set wird mit "Never be mine" vom neuen Album eröffnet. Angels Stimme ist von Anfang an das Zentrum, um welches alles kreist. Es gibt wahrlich nur sehr wenige Sängerinnen, deren Stimme so variabel ist. Einerseits beherrscht sie es mit einer Laszivität zu singen, die Lana del Rey in den Schatten stellt, andererseits kann sie mit ihre Stimme so schneidend klingen, dass man fürchtet, sich daran zu verletzten. Und genau diese Variabilität macht sich Madame Olsen auf "My Woman" erstmals perfekt zu nutzen, indem sie ihr musikalisches Spektrum massiv ausweitet und ihre Stimme entsprechend einsetzt.
Beim Song "Shut Up Kiss Me" zeigt sich, dass der Live-Sound im Vergleich zur Platte sogar noch fetter ist. Die sechs Musiker sind perfekt eingespielt, lediglich mit den Soundtechnikern gibt es einige Probleme, da diese Angels Stimme wegen ihres Spektrums nur schwer in den Griff zu bekommen scheinen und immer wieder nachpegeln müsse. Außerdem nervt leider das Brummen einer Monitorbox, speziell bei den leisen Stücken enorm.
Aber trotzdem ist es sehr augenscheinlich, dass Angel viel Spaß an ihrem neuen Sound hat. Im Vergleich zum Konzert 2014 lächelt sie viel mehr, speziell wenn sie Augenkontakt zu ihrer Keyboardering und Backing-Sängerin aufnimmt. Das macht sie etwas weniger unnahbar und durchbricht so ihre sonst eher unterkühlte Ausstrahlung. Der Herr Professor in unserer Runde hat trotzdem nicht unrecht, wenn er sie mit Gundel Gaukeley, der Gegenspielerin Dagobert Ducks aus den Disney-Comics vergleicht. Sorry Angel ;-)
Das Set besteht hauptsächlich aus den Stücken von den letzten beiden Alben. Highlights sind natürlich das, wenn man so will die neue Ära einleitende "Hi-Five" und die längeren Stücke wie "Heart Shaped Face" und speziell "Sister", welches live das jamartige Finale des Songs noch verstärkt und deutlich zeigt, wozu Angel in Zukunft noch in der Lage sein kann. Ja, dieser Engel kann auch rocken!
Auch die getragenen Stücke wie "Those were the Days" entfalten, trotz der nicht ganz so intimen Atmosphäre wie damals im King Georg, ihre Wirkung. Schwelgerische Melancholie durchtränkt den Stadtgarten. Angel kann rocken, aber sie hat auch keinerlei Berührungsängste, ihre verletzliche Seite zu zeigen. Als Backgroundsängerin, wie sie ihre Karriere begann, muss Angel sicher niemals mehr ihre Brötchen verdienen. Diese Künstlerin ist gewachsen und ich bin sicher, dass noch mehr Potential in ihr steckt und sie beim nächsten Besuch in Köln noch größere Hallen füllen wird.
Nach knapp einer Stunde setzt das furios grungige "Give it up" den Schlusspunkt, ich bin euphorisiert und hoffe, dass sie nicht wie damals wirklich schon nach 60 Minuten die Segel streicht. Mein Flehen wird erhört, denn nach tosendem Applaus im nicht ganz ausverkauften Stadtgarten kommt Angel mit reduzierter Bandbesetzung zurück auf die Bühne.
Als Zugabe spielt Angel das in Keys getränkte "Intern" und das ausufernde "Woman", welches mich auf Platte bisher nicht so in den Bann ziehen konnte, mich live aber restlos überzeugt. Den Genuss, nur sie und ihre akustische Gitarre ganz intim, gibt es heute Abend nicht mehr, aber den hatte ich ja Gott sei Dank schon beim letzten Mal erleben dürfen, also alles gut.
Mit Angel ist übrigens nicht zu spaßen, wie ein all zu eifriger Konzertfilmer feststellen musste, dem sie erst den Mittelfinger in die Kamera entgegenstreckte und dann von einem Ordner des Platzes verweisen ließ. Und da muss ich schon wieder lächelnd an den Vergleich mit Gundel denken, und dass ich schon immer ein Herz für Bösewichte habe ;-)
Ö
... und Danke an B. für die Fotos!
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