Wer sein Debütalbum mit einer Adaption der betenden Hände von Albrecht Dürer ausstattet und es dann auch noch "The Redeemer" (Der Erlöser) nennt, möchte man meinen, hat Großes vor.
Dean Blunt aus London, bisher hauptsächlich in Kooperation mit anderen Musikern umtriebig (mit seiner Band Hype Williams und als Duo mit der Russin Inga Copeland), wagt sich nun erstmals alleine aus der Deckung.
"The Redeemer" ist ein Album mit experimenteller Wucht, das mich sehr an das Meisterwerk "Experiments In Terror" der Royal Macadamians aus dem Jahre 1990 erinnert. Blunt durchsetzt seine auf Blues und Soul basierenden Stücke mit vermeintlich unverfremdeten Klängen aus der Natur. Mal hört man zerspringendes Glas und Autohupen ("Demon"), mal kreischende Möwen und Meeresrauschen ("The Redeemer") oder einen Hustenanfall wie in "Brutal". Das Samplen und die Einbindung nativer Geräusche ist jetzt nicht wirklich innovativ oder gar revolutionär, aber die Sensibilität, mit der Blunt seine Samples in seine Songs integriert, ist beachtenswert, genauso wie der Umstand, dass die Songs selbst bei orchestraler Instrumentierung sehr aufgeräumt und minimalistisch bleiben.
Erstaunlich ist auch, dass die Songs auf "The Redeemer" wirklich eher Lieder als Trax sind, obwohl, wenn man sie mit Worten umschreiben möchte, sicher die Begriffe "Collage" und "cineastisch" gut umreißen, was Blunt in musikalischer Hinsicht hervorbringt.
Die wichtigsten Stücke des Erlösers, die sich allesamt thematisch mit der Problematik einer Trennung befassen:
"The Pedigree": Orchestraler Beginn mit Streichern über die Blunt Spoken Words streut, ehe der Beat seine Arbeit aufnimmt und sich der Track düster entfaltet.
"Demon": Was "The Pedigree" noch andeutet, lebt "Demon" im vollem Maße aus. Eine düstere und bedrohliche Klngkonstruktion zwischen moderner Klassik und Gothic. Besonders erhaben ist der Part mit Trompete und weiblicher Gesangspartnerin.
"Flaxen" Das schönste Lied mit Harfe seit "Only Skin" von Joanna Newsoms "Ys" aus dem Jahre 2006.
"The Redeemer" könnte mit seinen Flötentönen und der süßlichen Frauenstimme auch auf dem ersten Album von Air versteckt werden, bis Blunt, erst über seine tiefe an Bill Callahan erinnernde Stimme und dann mittels theatralischer Geigen die Dramatik steigert und das Lied letztendlich im Meer ertränkt.
"Imperial Gold" lässt einen nur schwerlich keine Vergleiche zu Cocorosie ziehen. Das liegt in erster Linie an der weiblichen Stimme des Songs, aber auch daran, dass es wie bei den bezaubernden Schwestern irgendwie unterschwellig knistert. Im Prinzip ist es schlichtweg ein wunderschöner Folksong, den Blunt zusammen mit Joanne Robertson singt.
"Walls Of Jericho": Cineastisch und sehr weit weg von dem, was man zeitgenössische Popmusik nennt.
"Make It Official": Irgendwie funky und mysteriös.
"Need To Let You Go" klingt, als hätte der anarchistische Musiklehrer die Blockflöten-Gruppe für höhere avantgardistische Zwecke missbraucht.
Bei "Papi" fließt ALLES dahin und Blunts Intonation der Vocals bringen das Stück sehr nah an die letzten Aufnahmen des bereits erwähnten Bill Callahan.
"All Dogs Go to Heaven": Bösartiger, aber sanfter ProgRock-Jam. Düster. Düster. Düster.
"Brutal" ist überhaupt nicht brutal, sondern eine herzzerreißende Klavierballade! Völlig ohne Schmalz, mit viel Dramaturgie und ein krönender Abschluss der Platte, bevor ganz zum Ende als Titel No. 19 ( "Par") eine sechs sekündige Anrufbeantworteransage verkündet „You have no more messages“. Da halte ich doch nun einfach auch meine Klappe.
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