Auf der Homepage des amerikanischen Songwriters aus Florida erfährt man, dass CHRIS STAPLES eine lange Zeit voller Sentimentalität der golden Vergangenheit hinterhertrauerte. Aber wer im fortgeschrittenen Alter kennt das nicht, dieses Verklären, dieses „früher war alles besser“. Staples merkte aber, wie ihn dieser ständige Blick zurück blockierte und beschloss, die Vergangenheit endgültig abzuschließen. Er stellte sich der Gegenwart mit all seinen Alterswehwechen und begann mit den Arbeiten an "Golden Age", um die hinter ihm liegenden Kapitel endlich würdig abzuschließen.
Er begann sein Leben zu ordnen. Er kündigte seinen Zweitjob im Baugewerbe, arbeitete weiter als Tischler - wer kann schon nur als Musiker überleben - , gab das Musizieren mit anderen Bands auf und lenkte den Fokus seines musikalischen Schaffens komplett auf das Songwriting für das geplante neue Album.
Aus diesen Schilderungen könnte man zur Auffassung kommen, Staples sei zwar nicht mehr der Jüngste, aber wohl ein junger Hase im Musikbusiness, ersteres ist wahr, aber bei zweiterem trügt der Schein, denn Staples ist seit den späten 90igern auf musikalischen Pfaden unterwegs. Zu Beginn mit der Band Twothirtyeight, später als Discover America und immer wieder eben auch Solo unter seinem bürgerlichen Namen. So zählen mehr als 10 Alben zu seiner Diskographie, aber der richtige Durchbruch als Musiker blieb ihm bisher versagt.
Mit "Golden Age" könnte sich das Blatt wenden, denn Staples gelingt eine feinfühlige Abrechnung mit dem Mythos "früher war alles besser". Das Songwriter-Album zeigt alle Facetten des an der Vergangenheit hängen. Den verklärten nostalgischen Blick, das melancholische von Sentimentalität getragene Zurückblicken, aber es zerstört auch den Mythos, der damit verbunden ist und zeigt Wege in die Zukunft.
Es beginnt mit einer schier permanenten Beziehung ("Relatively Permanent") und läutet dann beschwingt das goldene Zeitalter ein ("Golden Age"). Dieser dem Album den Namen gebende Song könnte für Staples sogar ein kleiner Hit werden, wenn die Radiosender dieser Welt kapieren würden, wie charmant und unverschämt eingängig diese Nummer ist.
"Missionary" dagegen ist, ebenso wie das wehmütig die eigene Kindheit reflektierende "Cheap Shades", mit viel weniger Pop und umso mehr Melancholie beladen. Die Songs sind minimalistisch instrumentiert - Staples und seine Gitarre und nur wenig mehr - aber es genügt, um eine Emotionalität zu erzeugen, die unter die Haut geht.
"Full Color Dream" ist ideale Campfire-Musik, allerdings etwas breitwandiger und weniger geradlinig angelegt als die beiden Vorgänger-Songs, mit der man mit guten Freunden wunderbar bei ein zwei Bier über alte Zeiten sinnieren kann. Tief traurig, nicht nur wegen der Streicherpassagen, ist die akustische Nummer "Park Bench", bei der es um Erinnerungen, Tod und Verlust geht.
Melancholie und Molltöne am Klavier sind schon immer eine gelungene Verbindung. Mit "Always On My Mind" gelingt Staples ein über die verlorene Jugend und Liebe schwelgender Song, der schnurstracks in meine Playlist "Novocain for the Soul" wandert, wo sich Lieder sammeln, die Herz, Seele und Hirn gleichermaßen mit Balsam bestreichen. Irgendwann wird es diese Liste auch hier auf diesem Blog geben, aber da muss ich die mittlerweile mehr als 2000 Songs umfassende Playlist vorher noch etwas ausdünsten ;-).
Wem das Album jetzt schon zu sentimental drauf ist, der sollte die Segel streichen, denn auch "Times Square" ist ein Lied voller Sehnsucht nach den Zeiten, in denen das Leben noch leichtfüßig und die Liebe komplikations- und kompromisslos war. Seufz, wie schön ist eigentlich dieser Duettgesang mit der Sängerin, deren Namen ich nirgendwo ausfindig machen kann?
Aber bitte nicht auf den Gedanken kommen, "Golden Age" wäre rührseelig oder gar kitschig! Nein, Nein, Nein! "Golden Age" ist wie ein Besuch in der guten alten Zeit, der eben manchmal auch schmerzt, aber auch unendlich viel Freude bereitet - man lausche nur "Vacation".
Ähnlich beschwingt wie der potentielle Smash-Hit "Golden Age" ist die vom Akkordeon flankierte Nummer "Hepburn In Summertime", ebenfalls "very fein" wie man hier zu sagen pflegt. Mit "Dog Blowing A Clarinet" kommt dann kurz vor Schluss der musikalische Aufruf, nicht in der Vergangenheit stecken zu bleiben, sondern die Angst abzulegen und zuversichtlich nach vorne zu blicken, ehe mit "Diary" das alte Tagebuch herzzerreißend, aber mit Hoffnung geschlossen wird.
Zarte Melodien, exzellentes Songwriting, behutsame Arrangements und eine gefühlvolle Stimme. Gratulation Mister Staples zum Meisterwerk "Golden Age".
Im Oktober kommt Chris Staples auch nach Deutschland, in vorwiegend kleinen Clubs, auf Tour. Kölner dürfen sich auf einen sicherlich erhabenen Abend am 9. November 2016 in der Wohngemeinschaft freuen. Taschentücher und alte Freunde nicht vergessen!
... und dieser Mann hat Humor UND Ideen! Gibt es günstige Flüge nach Seattle?
Tracklist:
01 Relatively Permanent
02 Golden Age
03 Missionary
04 Cheap Shades
05 Full Color Dream
06 Park Bench
07 Always On My Mind
08 Times Square
09 Vacation
10 Hepburn In Summertime
11 Dog Blowing A Clarinet
12 Diary
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