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Sonntag, 7. April 2013

JAMES BLAKE / Overgrown

Neulich lief auf der Arbeit im Radio ein Dubstep-Stück, welches mich sehr an James Blake erinnerte. Mein Kollegin, die im gleichen Raum arbeitete, fragte, ob das Stück hängt? "Es hört sich irgendwie defekt an", und ob ich das bitte leiser oder ausmachen könne. Auf der anderen Seite werfen mir Blake-Hasser aber auch immer wieder vor, dass der britische Knabe doch Fahrstuhlmusik für Mädchen mache.

Klar ist also, dass James Blake in höchstem Maße polarisiert. Entweder man liebt ihn und seine Klangphilosophie oder man hasst beides. Meine Wenigkeit gehört definitiv zu den glühenden Verehrern des ausgebildeten Pianisten, der bereits mit 6 Jahren mit dem Klavierspielen begann.

Sein 2011 erschienenes, schlicht "James Blake" betiteltes Debütalbum verzauberte mich beim ersten Anhören - die beiden Lieder "The Wilhelm Scream"  und das Feist-Cover "Limit to your Love" werden bestimmt auf ewig in meiner Bestenliste bleiben.



Danach gierte ich wie ein Staubsauger nach allem, was der sensible Brite bisher veröffentlicht hatte - immerhin ein halbes Dutzend EPs - und selbsverständlich war der Veröffentlichungstermin seines zweiten Langspielalbums in meinem Kalender rot markiert. Die Vorab-Single "Retrograde" schürte die Vorfreude auf "Overgrown" noch mehr und deswegen ist es schon fast erstaunlich, dass der Brite meine hohen Erwartungen dennoch erneut erüllen kann.

Das Album "Overgrown" ist weicher und fließender als das Debütalbum, die "Störeffekte" hat Blake reduziert bzw. dezenter arrangiert. Everythings flows und absolut nix hängt ;-). Ist das nun kommerzieller wie ihm direkt einige Kritiker vorwerfen? Quatsch! Nach der Destruktionsphase kommt immer die Konstruktionsphase. Nach Tabula Rasa wird der Tisch also wieder mit auserlesenen Klanggebilden, Schicht für Schicht, bedeckt - bevor dann wieder aufgeräumt werden muss.



Der erste Titel, das dem Album den Namen gebende, "Overgrown" ist ein echter Blake. Tiefe, in Melancholie getauchte Bassmusik. Das Klavier als verbindenes Element zwischen elektronischer Musik und Klassik. Die intensive glasklare Stimme Blakes, die mir immer wieder durch Mark und Bein schneidet, ob verfremdet oder nicht. Blake singt in "Overgrown" "I don't wanna be a star" und eben nur mit dieser so plump klingenden Feststellung, lässt es sich verwirklichen, etwas wirklich Neues zu erschaffen. Blake hat dies vollbracht und heute bezeichnet die ganze Welt Musik dieser Art mit dem dafür erschaffenen Begriff Post-Dubstep.

"I am sold" schwebt. Als ob man indianische Gesänge um das tausendfache verlangsamt hätte, schrauben sich die Vocals immer höher und höher. Stimme als Instrument! Es fiepst, klickert und brummt und wenn man den Song in Endlosschleife hört, bin ich mir sicher, kann man seinen Körper verlassen und zusammen mit Blake schweben. Ich bin nicht wirklich mit übermäßig viel Gefühlsduselei behaftet, aber bei Blakes Musik ist mir immer, als ob sich die Augen mit Wasser füllen möchten.

Bei "Life round here" lässt das Klavier eine kleine Melodie in Moll immer wieder kehren, der dumpfe minimalistische Beat zeigt Konstanz, die Wirkung ist erstaunlich. In einem Interview mit dem Spiegel meinte Blake "Ich kombiniere digitale Präzision mit analoger Wärme". Wahre und sehr poetische Worte.



"Take A Fall For Me" erweitert das Klangspektrum von Blake in eine neue Richtung. Wu-Tang Rapper RZA duelliert sich zu einem schleifenden Soundgebilde mit Blake. Während Blake über das Leid der Liebe klagt und flehentlich immer wieder erklingt "You can't marry her", rappt RZA seine Zeilen zum gleichen Thema; als wäre er der erfahrene väterliche Freund; der dem zaudernden Freund in höchster Not beisteht. Emotionaler wird man RZA wohl nie mehr hören.



Über "Retrograde", die erste Single des Albums, die bereits vorab erschien, nähert sich Blake weiter dem Soul. Wäre das nicht das flirrende sirenenartige Geräusch; welches in der Mitte des Songs dafür sorgt, dass die Nummer; die von Handclaps getragen wird; große Wucht entwickelt, könnte man fast in Versuchung kommen und Blake mit Curtis Mayfield vergleichen.

"DLM" ist ein Klavierstück. Blake kombiniert die klassich anmutenden Pianopassagen mit gospelartigen Vocals, aber im Gegensatz zu allen anderen Songs des Albums fällt die Überzeichnung zu schwach aus, was dazu führt, dass der Song leider ziemlich dahin plätschert.

Viel besser, weil  vielleicht der stärkste Song des Albums, funktioniert "Digital Lion". Die Komposition steigert sich peu à peu, verdichtet die Beats und steuert filigran auf den Höhepunkt zu, als gäbe es kein Morgen. Würde sehr gerne den Song mal in der Kulturkirche in Nippes zu Gehör bekommen, könnte aber zu Schäden am Gebäude führen ;-)



"Voyeur" ist ein gutes Beispiel dafür Blakes Arbeitsweise zu analysieren. Der Gesang wird geloopt mit Autotunes verfremdet, mehrfach gesampelt, so dass er mit sich selbst singen kann. Das hastige ekstatische Klavierthema (hier sehr zurückgenommen) heizt die Atmosphäre an und die hier sehr nach Deep House klingenden Beats aus dem Laptop dienen als die Komposition stützender Rahmen. Und alle, die Blake jetzt den Ausverkauf vorwerfen, sollen doch mal versuchen, dieses Stück bei einem Mainstream-Radio in die Playlist zu bekommen - nächtliche Stunden zählen nicht!

Bei "To the Last", dem vorletzten Stück des Albums, kann ich erstmals besser verstehen, wieso mancher Zeitgenosse Blake mit Antony Hegarty vergleicht, denn bei diesem Stück verzichtet der Londoner fast gänzlich darauf, die Stimme über die Maßen zu verfremden. In den Strophen scheint es fast so, als höre man Blakes sehnsuchtsvolles Organ erstmals im Reinzustand. Dazu schlurft und schleift es und ab und an brandet eine elektronische Welle über die Stimme hinweg, begleitet von Möwengeräuschen. Weckt irgendwie große Sehnsucht nach dem Meer bei mir. Ich weiß nicht, wie es Blake gelingt, dass er mich so einfängt mit seiner Musik. Es scheint fasst so, dass es bei manchen Menschen einen Knopf gibt, den Mister Blake spielend drücken kann.

"Our love comes back" beginnt wie das Klagelied eines Pianisten in einer Jazzbar nachts um 3 Uhr. Die meisten Gäste sind verschwunden und nun endlich beginnt er sich auszuleben. Er packt sein Laptop aus, generiert einen tiefen Bass und verliert sich, ohne sich zu verlieren, in den nun erweiterten Möglichkeiten seiner musikalischen Fähigkeiten. Vielleicht hat es ja nicht nur mit Gefühlen, sondern auch mit Fantasie zu tun, was Blake bei seinen Anhängern (fast hätte ich Jüngern geschrieben) weckt?

Ich bin mir sicher, dass ein Künstler dieses Formats irgendwann alles über Bord wirft und ganz neue Wege bestreitet - was nicht immer gut enden muss (das letzte Brian Eno Werk beispielsweise ist doch verdammt nahe an Fahrstuhlmusik) - aber dafür ist es noch VIEL zu früh.

Es lebe der Post-Dubstep, auch wenn Blake selbst diesen Begriff für seine Musik als viel zu eng gefasst ansieht. Es lebe der Mut, ausgelatschte Wege zu verlassen! Danke für ein weiteres Meisterwerk!



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