Date: 12.04.2018
Eigentlich war der Tag bisher so verlaufen, dass mir eher nach Sofa und einem Gläschen Wein, als nach dunklem Club und Flaschenbier zumute war, aber es sollte sich wieder einmal zeigen, dass es sich lohnt, den Arsch hoch zu bekommen und wie man ja dank einer aktuellen Studie weiß, verlängern Konzertbesuch das Leben.
Herr Davidson sieht eigentlich ein bisschen so aus, wie man sich einen amerikanischen Handelsvertreter vorstellt, der täglich hunderte von staubigen Meilen zurücklegen muss, um seine Dollars zu verdienen. Er trägt gerne Anzughemden ohne Anzug, hat lässig eine nicht zugezogene Krawatte umgebunden und trägt einen Hutklassiker auf seinem schier haarlosen Haupt. Wüsste man nichts über ihn, würde man damit rechnen, dass, sobald er den Mund öffnet, ein breiter texanischer Slang zu hören ist, was erklärt, dass einige Lacher im Publikum ertönen, als er die Konzertbesucher in einem sicherlich noch ausbaufähigen Schweitzerdeutsch begrüßt. Also cool klingt irgendwie schon anders ;-).
In musikalischer Hinsicht ist Delaney Davidson aber die Coolness in Person. Als wäre er in den Gewässern der Mississippi getauft worden, atmet und dampft er sumpfigen Delta-Blues aus, der nach Louisiana, "True Detectices", "True Blood" und Voodoo müffelt. Erdig und feucht!
Am 27. April erscheint sein neues Album "Shining Day", das nach "Lucky Guy" (2015) wieder einen Titel trägt, der in die Irre führt, denn eigentlich erwartet einen beim Schweizer Emigranten immer eher das, was auf seiner Homepage unter Biographie steht: "Allow the darkness in…. The wolf at the door….. I welcome the dead into my soul, You have dragged me to hell."
Kurz nach 21 Uhr ist dann Showtime für Marlon Williams.
Williams, der zusammen mit Davidson von 2012 bis 2014 als Duo drei Alben mit dem vielversprechenden Titel "Sad But True: The Secret History of Country Music Songwriting" Volume I bis III herausbrachte, beginnt das Konzert solo am E-Piano mit "The First Time Ever I Saw Your Face", einer Ballade aus der Feder des britischen Songwriters Ewan MacColl, die in der Interpretation von Roberta Flack 1972 Weltruhm erlangte. Was für eine Stimme! Welch ein gefühlvoller Beginn eines Konzertes! Natürlich ist dieses Stück der perfekte Einstiegsong für einen Abend, der unter dem Motto "Make Way For Love" stehen sollte.
Anschließend betreten drei Mitmusiker die Bühne und gemeinsam singen Williams und sein Bassist, der ebenfalls über eine wunderbare Stimme verfügt, "Come to Me" vom neuen Album. In seiner engen himmelblauen Röhrenturnhose und dem in die Hose gesteckten Hooligan-Poloshirt sieht Marlon schon sehr eigen aus, aber das passt natürlich auch sehr schön zu seiner einzigartigen Stimme und der Aura des verschrobenen Künstlers.
Bisher hat Williams zwei Alben veröffentlicht, wobei sein selbstbetiteltes Debütalbum von 2015 deutlich mehr Country- und Folkbezüge zeigt, während er sich auf seinem neuen Werk eher als Popsänger mit Croonerqualitäten generiert und Soul sowie postrockartige orchestrale Arrangements die Zutaten sind.
Die erste Konzerthälfte konzentriert sich Williams ganz auf "Make Way For Love", mit dem Highlight "Can I Call You", einer Nummer, der es gelingt, wie die perfekte Verschmelzung eines MashUps aus Radiohead und Nirvana zu klingen. Aber nur einer von vielen Gänsehautmomenten, denn mit zunehmender Spieldauer gewinnt das Konzert an Intensität. Band und Bandleader verstehen sich blind und präsentieren die emotionalen Stücke mit einer perfekten Leichtigkeit.
Mit der besten Elvis-Nummer aller Zeiten, die nicht von Elvis ist, "What's Chasing You", endet der erste Block mit Songs vom aktuellen Album und mit der dunklen CountryFolkballade "Dark Child" spielt Williams den ersten Song von seinem Debütalbum. Es folgt eine Coverversion von Yoko Onos "Nobody Sees Me Like You Do" aus dem Jahr 1981, die eindrucksvoll beweist, welch gute Songwriterin und welch lausige Sängerin Yoko ist.
Anschließend erklingt "Party Boy", eine untypische Williams-Nummer mit elektronischem Blubberbeat und einem Titel, bei dem ich immer noch grüble, ob er sich auf das Album "Party" (2017) seiner ehemaligen Liebe Aldous Harding bezieht und wahrscheinlich das einzige Williams-Stück, zu dem man ausgelassen tanzen kann - ich sehe tatsächlich entsprechende Anzeichen im ansonsten andächtig lauschenden Publikum!
Für die letzten Stücke bittet Marlon seinen alten Buddy Delaney auf die Bühne und sie servieren dem begeisterten Publikum "Bloodletter" aus Vol. I ihrer Album-Triologie.
Als Neuseeländer darf man natürlich auch einen Barry Gibb Song covern. Die erwählte Nummer nennt sich "Carried Away" und ich kenne die Nummer auch irgendwoher, wusste aber nicht mehr, dass Gibb die Nummer eigentlich für Barbara Streisand geschrieben hatte, diese aber den Song ablehnte und er dann von Olivia Newton John zum besten gegeben wurde. Er hat schon ein gutes Händchen dafür, welche Songs ihm gut stehen, der Herr Williams!
Dann kommt mit "Vampire again" ein Stück, dass Marlon im August 2017 veröffentlichte, welches es aber nicht auf seinen zweiten Longplayer schaffte, wahrscheinlich weil es einfach nicht passen würde. Was nicht so zu verstehen ist, dass es sich um eine zweitklassige Nummer handelt. Ganz im Gegenteil das Stück rockt ungemein und verzückt mich an diesem Abend geradezu - es scheint so, als ob der Gitarrist aus Marlons Band sich auch auf dieses Stück am meisten gefreut hat ;-).
"Nobody Gets What They Want Anymore" ist die Nummer, die Marlon auf dem Album mit seiner Ex Aldous singt. Natürlich ist Aldous nicht dabei -besagter Bassist übernimmt den Part - aber dass sie ein tief verwurzelter Teil in Marlons Biographie bleibt wird deutlich als er bei den Eingangserläuterungen zu diesem besonderen Song offen bekundet, dass er sie noch immer liebt. Seufz. Wir lieben Aldous seit ihrem Auftritt beim Rolling Stone Weekender 2016 übrigens auch! Der letzte Song des regulären Sets ist "Make Way For Love" und damit ist eigentlich alles gesagt, außer natürlich, dass die Liebe auch schrecklich sein kann, weswegen "Love Is a Terrible Thing" die erste Zugabenummer ist.
So wie das Konzert begann, sitzt Marlon wieder am E-Piano und spielt diese Ballade, die so unendlich schön traurig und gefühlvoll ist, dass ich mich dazu entschließe, sie beim nächsten Update in meine traurigste Playlist (Songs For My Funeral) zu packen, weil man dazu sicher auch sehr gut weinen kann.
Der magische Abend endet für mich mit einem weiteren Becks und einer Coverversion von Screamin’ Jay Hawkins - ich sagte ja schon, Marlon hat ein Händchen dafür!
Ich persönlich würde übrigens gerne mal "Blood & Tears" von Danzig als Marlon Williams-Coverversion hören. Vielleicht beim nächsten Mal, denn das wird es nach diesem Abend ganz bestimmt geben. Thank You for the music Mr. Williams und da spreche ich sicher im Namen aller Konzertbesucher!
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