Männerwelt war gestern! In keinem Bereich drängen Frauen so weit in die Spitze vor wie in der Popkultur - ganz ohne Quote! Was das letzte Jahr in popkultureller Hinsicht bereits stark aufzeigte, scheint in 2017 nun geradezu inflationäre Formen anzunehmen. Stellt sich die Frage: Warum?
Liegt es daran, dass Frauen mehr zu sagen haben, dass sie mehr (ihr) Leid, sicher auch aufgrund der in vielen Bereichen immer noch vorherrschenden Männerwelt, klagen müssen? Liegt es daran, dass, wie es allgemeingültig behauptet wird, Frauen besser Gefühle zeigen können? Oder ist die Zeit einfach reif für eine Woman’s World?
Die Britin LAURA MARLING macht sich auf ihrem Konzeptalbum "Semper Femina" auf die Suche nach der Weiblichkeit.
Lateiner werden den Albumtitel sofort transkribieren können, allen anderen sei der Titel als "Immer Frau" übersetzt und der Hinweis gegeben, dass Miss Marling das Zitat des lateinischen Dichters und Epikers Vergil, welches vollständig "Varium et mutabile semper femina" lautet und eine ganz andere Bedeutung hat, nämlich "Etwas Unbeständiges und immer Veränderliches ist die Frau", für ihre Zwecke radikal kürzt und diesem somit eine gänzlich andere Bedeutung verleiht.
Darf und kann Miss Marling das?! 3 Mal JA!
Ja, denn neben der großen PJ Harvey, fällt mir im aktuellen Pop- und Rockzirkus niemand ein, der die Ausarbeitung eines musikalischen und textlichen Zusammenhangs für ein Album sorgfältiger konzipiert.
Ja, denn neben ihrer Arbeit am neuen Album initiierte Laura Marling eine Podcast-Reihe mit dem Namen "Reversal of the Muse: An Exploration of Femininity in Creativity" mit dem selbst gestellten Auftrag die Weiblichkeit in kreativen Berufen zu Wort kommen zu lassen. Neben bekannten Persönlichkeiten wie Dolly Parton, Emmylou Harris, Karen Elson oder der Girl-Band Haim berichten auch Normalsterbliche von ihren Erfahrungen und Erlebnissen.
Ja, denn die 27-Jährige ist im Musikzirkus für ihr Alter schon viel rumgekommen. 2006 ist sie Gründungsmitglied der FolkRock-Band Noah an the Wahle, deren Sänger ihr damaliger Freund Charlie Fink ist. Charlie produziert ihr Solo-Debüt-Album "Alas, I Cannot Swim", welches 2008, zeitgleich mit dem ersten Album von Noah and the Wahle, erscheint und so erfolgreich ist, dass Laura die Band verlässt, um sich ganz auf ihre Solokarriere zu konzentrieren. Es folgen vier weitere exzellente Alben, meist Konzeptalben, mit denen Marling ihren Status als außergewöhnliche Singer/Songwriterin ausbaut.
"Super Femina" ist das sechste Album der in Grafschaft Hamsphire geborenen Britin und in musikalischer Hinsicht, das Album mit dem größten Spektrum. Natürlich ist Marling ein Kind des Folks und dementsprechend sind die Wurzeln, aus denen sie kommt in jedem der neun neuen Lieder deutlich zu hören, aber ihre feinsinnigen federleichten Arrangements flirten mehr mit Pop, Blues und Jazz als je zuvor.
Der dezent auf einer Basslinie groovende Opener "Shooting" ist ein gutes Beispiel für das dezent ausgeweitete Klangspektrum der Künstlerin. Würde diesen Song nicht Miss Marling singen - was sehr schade wäre, denn Laura ist nicht nur eine sehr gute Gitarristin, sondern auch eine virtuose Sängerin - und man stattdessen die Stimme von beispielsweise Thom Yorke oder PJ Harvey hören würde, käme kaum jemand auf den Gedanken, dass die Nummer nicht ins Repertoire dieser Künstler gehöre.
Der zweite Song des Albums, "The Valley", besticht durch filigranes Finger-Picking, einen ungewohnten Walzertakt und der so unglaublich tröstlichen Gesangsstimme, die es vermag noch süßer zu klingen als die himmlischen Streicherpassagen des Stückes. Ich habe erst vor Kurzem meine Plattensammlung um einige Joni Mitchell-Platten erweitert und stelle fest, dass obwohl einige Jahrzehnte zwischen den Künstlerinnen liegen, es doch deutliche Parallelen gibt.
Bei "Wild Fire" ist offensichtlich, dass Laura sich beim Komponieren des Stückes vom Lou Reed Klassiker "Walk on the Wild Side" inspirieren lies. Bewusst schreibe ich "inspirieren", denn die anfängliche Ähnlichkeit verfliegt schnell, da ihr das Kunststück gelingt, dem 45 Jahre alten Stück, das selbstbewusste weibliche Äquivalent entgegenzusetzen. "You can stop playing that shit out on me!"
"Don’t Pass Me By" beginnt mit einem rumpelnden und zeitweise stolpernden, höchstwahrscheinlich analogen, Drumcomputer. Dazu gesellen sich schwebende Vibrato-Gitarrenklänge und Laura singt von alten Freunden, nie zu vergessenden Melodien und der Möglichkeit oder Unmöglichkeit zu lieben. Klingt schon beim ersten Hören wie ein Klassiker und erinnert stark an die unterkühlte melancholische Note von Portishead-Platten.
Das frühlingshaft beschwingte, aber trotzdem sehr gefühlige und nachdenkliche "Always This Way" wirft einen Blick zurück auf zerbrochene Lieben, begangene Fehler ohne Bitternis, sondern mit der Gewissheit, dass es auf jeden Fall der eigene Weg war. In einer Art Sprechgesang, irgendwo zwischen Leonard Cohen und Bob Dylan, sinniert Miss Marling bei "Wild Once" über die Evolution des Einzelnen während des unaufhaltsamen Prozesses dem Älterwerden:
"It's hard if you can't change it / It's worse if you don't try / You will sit down to explain it / And you're constantly asking why / You are constantly asking why / Well, you are wild / And you must remember / You are wild, chasing stones."
Bei "Next Time" klingt es, als wäre die akustische Gitarre in einer Endlosschleife gefangen, während um sie herum alle, natürlich im angemessenen Rahmen, improvisieren um einen schmuckvollen Songrahmen zu bilden. Schön, die kleinen angedeuteten Ausflüge ins ProRock-Land.
Der einzige, musikalisch etwas schwächere, weil sehr traditionelle Song ist "Nouel", aber vielleicht auch nur, weil Laura Marling hier den Fokus ganz bewusst auf ihre gewählten Worte legen will. Ganz im Gegenteil zum Vorgänger Song zeigt der Schlusssong des Albums "Nothing, Not Nearly" Ecken und Kanten, sogar Dissonanzen und eindeutige IndieRock-Tendenzen.
Fazit: Mit ihrem sechsten Album "Semper Femina" ist Laura Marling endlich das Meisterwerk gelungen, auf welches sie seit Jahren kontinuierlich hinarbeitet. Congratulation, it's a self-confident woman’s world and I like it!
Tracklist:
01 Soothing
02 The Valley
03 Wild Fire
04 Don’t Pass Me By
05 Always This Way
06 Wild Once
07 Next Time
08 Nouel
09 Nothing, Not Nearly
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