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Dienstag, 29. November 2016

NEW SONGS Vol. 139: FOXYGEN / Follow the Leader ... WILDHART / Is it Possible ... THE MOLOCHS / No More Cryin' ... GRANT / Mr. W


FOXYGEN / Follow the Leader

Oh, da kann ja was auf uns zukommen. Bei dem für den 20. Januar 2017 angekündigten neuen FOXYGEN-Album "Hang" haben die beiden Weirdos Sam France und Jonathan Rado sich wohl ein 40-köpfiges Symphonieorchester ins Studio geholt, um die neuen Songs einzuspielen.

Als Gastmusiker sind die Lemon Twigs und Steven Drozd von den Flaming Lips mit an Bord, während Trey Pollard und Matthew E. White (Spacebomb)  für die Arrangements verantwortlich zeichnen.

Nach "America" ist "Follow The Leader" der zweite Song, den das kalifornische Duo vorab präsentieren. Gut gelaunt, schmachtend und opulent scheint die Devise für "Hang" zu sein. Es leben Streicherarrangements und Formationstanz ;-).






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WILDHART / Is it Possible

Das in Göteburg (Schweden) beheimatete Trio WILDHART veröffentlicht mit  "Is it Possible"  eine spooky Popnummer mit ausgefeilten Perkussions und seltsam betörendem Gesang von Sängerin Ylva Holmdahl.

Inspirierend ließ sich die Band für den Song von der schwedischen Mystik-Serie Agnes Cecilia (1991) nach dem Roman von Maria Gripe, bei der ein 15-jähriges Mädchen mit dem Übernatürlichem in Berührung kommt. Klar, dass die Keys schweben ;-).





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THE MOLOCHS / No More Cryin'

Googelt man die Bedeutung von "Moloch", dann wird man mit verschiedenen Definitionen konfrontiert, die alle eins gemein haben, sie sind negativ besetzt. Wie kommt also eine Band aus dem sonnigen Kalifornien dazu, sich THE MOLOCHS zu nennen?

Erstens, weil Frontmann und Singer- und Songwriter Lucas Fitzsimons gebürtiger Argentinier ist und zweitens, weil er der Ansicht ist, dass das Gebären von Songs eine harte Prüfung ist, durch die man sich kämpfen muss. Man muss diese Anforderung bezwingen, muss alles hinterfragen und offenlegen - erst recht, wenn man ein Album herausbringen will.

Die Prüfung wurde erneut bestanden, denn am 13. Januar 2017 erscheint nun das zweite The Moloch-Album "America's Velvet Glory", auf dem auch das vom GarageRock der sechziger Jahre inspirierte Stück "No More Cryin'" zu hören sein wird. Man darf sich auf das Album freuen und wird sehen, ob Fitzsimons seinen Moloch in den Griff bekommen hat - bei "No More Cryin" hat es vorzüglich geklappt.




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GRANT / Mr. W

Während das kurzzeitige österreichische Fußballhoch immer mehr in sich zusammenstürzt, scheint die Welle mit hervorragender deutschsprachiger Musik aus Österreich noch immer nicht ihren Scheitelpunkt erreicht zu haben.

Nachdem sich Voodoo Jürgens tatsächlich auf Platz 1 der österreichischen Album-Charts eingenistet hat, schickt das kleine, aber feine Label Problembär mit GRANT den nächsten hochkarätigen Austro-Pop-Act ins Rennen.

Grant, österreichisch für schlechte Laune, sind fünf junge Männer Anfang Zwanzig, die nach dem österreichischen Bob Dylan (Nino aus Wien), dem österreichischen Tom Waits (Voodoo Jürgens) und den österreichischen Kettcar (Wanda) die österreichische Melange aus Libertines und Babyshambles kredenzen. Das ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, jugendlich charmant und auf Dauer auch wieder ziemlich unwiderstehlich.

Und wer sich erst in "Mr. W" verguckt hat, der wird dann ganz schnell das Debütalbum "Grant" der Herren Stefan Kovacic (Gitarre), Stephan Weissensteiner (Gitarre), Alexander Peirl (Bass) und Manuel Höller (Schlagzeug), alias Grant, sein eigen nennen wollen. Anspieltipps: "Enigma", "Niemand ist so kalt wie Du", "Bis zum Filter" und "Was bleibt". Leider noch nicht auf Vinyl zu haben!




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Freitag, 25. November 2016

THE LEMON TWIGS live im Arttheater in Köln

Location: Arttheater, Köln
Date: 22.11.2016

 

Ach, in Köln ist es manchmal schon wirklich frustrierend, dass großartige neue Bands nicht den verdienten Publikumandrang erfahren. Auch den beiden New Yorker Brüder Brian und Michael D’Addario, alias THE LEMON TWIGS, bleibt es verwehrt, ihr Konzert im Kölner Arttheater vor verkauftem Haus zu absolvieren, so wie sie es mit dem fantastischen Debütalbum "Do Hollywood" eigentlich verdient hätten.

Stattdessen tummeln sich am Ort des Geschehens, bei zugegebenem beschissenem Wetter, nur wenige Menschen - zum Konzertbeginn ist dann etwa der halbe Saal gefüllt - mit exquisitem Musikgeschmack. Aber vielleicht sind es ja auch nur die Umstände, weswegen der Laden nicht aus allen Nähten platzt? Wir sind heute ja auch nur mit vier Mann, Entschuldigung drei Mann und eine Frau, am Start. Egal, das Becks schmeckt auch im Regen und die Vorfreude auf das Brüderpaar ist riesig.

Über den Support verliere ich an dieser Stelle lieber kein Wort, weil M., der weibliche Part von M&M mich sonst schimpft, weil sie den Typ mit der Gitarre irgendwie ganz niedlich fand. Ach, ich sag es doch, ich fand ihn grauenhaft! Und mein treuer Konzertbegleiter C. ist bei diesem Urteil ganz bei mir.

Aber bereits mit dem Entern der Bühne durch die Bekloppten aus Long Island sind meine Bad Vibrations verschwunden. Neben Brian, der sich in Front positioniert und Michael, der sich hinter das Schlagzeug setzt, betreten ein schwarzer Keyborder mit nacktem Oberkörper und an der Schulter umgebundener roter Kuscheldecke, Superman lässt grüssen, sowie eine Bassistin, die meine Tochter sein könnte, die Bühne.

Die beiden noch Unbekannten zappeln wild im Scheinwerferlicht herum während Michael sich schon mal mit dem Bearbeiten seiner Felle beschäftigt und Brian die Bühne den Mitmusikern überkässt. Das ganze wirkt wie aus einem surrealistischen Werbe-Clip für die in den 70er in Deutschland sehr bekannte Trimm-dich-Bewegung, denn auch die Klamotten, welche die Herren tragen, passen voll in dieses Zeitfenster, sind aber nicht ganz so ausdrucksstark wie die quietschenden Plastikklamotten, welche die Band in ihren Videos und bei Fernsehauftritten trägt. Nein, die Kleidung der Bassistin, Megan Zeankowksi, nicht, denn Bassisten sind ja sowieso immer etwas anders, was in diesem Falle bedeutet, sie schaut am Normalsten aus ;-).

Nach diesem Auftaktgeplänkel und einigen Kommandos an den Mann, der für den Ton zuständig ist, geht die Post ab. Die Show beginnt mit "I Wanna Prove To You".

Wer aufgrund der späten Geburt oder widriger unzulänglicher Lebensplanung nie Bowie, Queen, The Beatles, T. Rexdie Ramones, Supertramp oder The Who live gesehen hat, der hat heute Abend die Chance, einen wilden Ritt durch die Rock und Pop-Geschichte zu erleben, denn die beiden Brüder bedienen sich aus der Pop-Historie wie antiautoritär erzogene Kinder in einem Süßwarenladen. Die Bühnenpräsenz der beiden ist für ihr Alter (17 und 19 Jahre) schier unglaublich und auch Keyboarder Danny Ayala, der mich übrigens sehr an den jungen Muhammad Ali erinnert, weiß, wie man auf der Stage agieren muss, um das Publikum zu begeistern.

Im ersten Drittel betätigt sich Brian als Frontman und Gitarrist, seine Show ist nicht ganz so expressiv wie die von Bruder Michael, der, als er den Frontmann gibt, das bisher schon großartige Konzert noch einmal einen Level höher schraubt. Michaels Gesang ist weniger sauber wie der von Brian und bricht stellenweise weg, aber das passt hervorragend zu den Kompositionen, die sich ja auch ständig überschlagen und aus den gewohnten Songstrukturen ausbrechen und verleiht dem Glamour Boy eine Prise Dirtyness, die ihm meines Erachtens sehr gut steht. Außerdem zeigt Michael immer wieder während des Gitarrespielens einen schnellen Kicktritt gegen Himmel. Warum? Weil der Knabe nicht weiß wohin mit seiner überbrodelnden Energie und weil es ziemlich geil ausschaut! Für die Faktensammlung heißt das: Michael ist eine Rampensau und der bessere Schlagzeuger. Brian hat die bessere Stimme und kann wunderbar Balladen am Keyboard zum Besten geben. Das Songwriting teilen sich die beiden übrigens brüderlich.

Neben den vom Debütalbum bekannten Songs wie "Baby, Baby", "How Lucky Am I?" und "These Words" spielt die Band auch zwei neue Songs, die wohl im nächsten Jahr auf einer EP erscheinen sollen. Einer der Songs, der "Night Song" kommt beim Publikum dermaßen gut an, dass selbst M., der männliche Part von M&M, nicht an sich halten kann und die Jungs lautstark auffordert den Song einfach direkt noch mal zu spielen. Was die Band aber natürlich nicht tut, was wiederum nicht schlimm ist, denn wichtig ist nur, dass sie spielen und spielen und spielen ;-).



Der auch auf Platte schon gewaltig herausragende Ohrwurm "As Long As we’re Together" wird live zu einem richtigen Giganten! Kann man Popsongs besser schreiben, besser arrangieren und besser live spielen? Die musikalische Kompetenz strömt den beiden Tausendsasa wirklich aus jeder Pore! Ist aber auch kein Wunder, der Vater ist Songwriter und die beiden haben bereits mit fünf Jahren begonnen Schlagzeug zu spielen und sich dann mit Gitarre, Bass und Keyboard verlustiert.

Wer immer noch nicht kapiert hat, was ihm an diesem Abend durch die Lappen gegangen ist, dem darf ich die Schamesröte noch etwas mehr ins Gesicht treiben, wenn ich erzähle, dass die Lemon Twigs sich erstmals live an die Geheimtippnummer auf  "Do Hollywood", "A Great Snake", gewagt haben, dass es ein grandioses Stones-Cover gab, das zu einem perfekten Lemon Twigs-Song mutierte und dass die Band im Zugabenblock den Beatles-Hit "I Want To Hold Your Hand" spielte - in der deutschen Version (""Komm gib mir deine Hand")!

Ein wunderbarer Abend mit einer Band, die im geordneten Chaos hochkonzentriert, immer sympathisch und überallemaßen charmant die Bühne bespielt wie Boris Becker einst sein Wohnzimmer in Wimbledon. Nach dem Konzert meinte eine sehr nette Dame, dass sie heute einen richtigen Scheißtag hatte, aber mit diesem Ende einfach alles zu ertragen sei. Da hat sie recht und weil mein Tag heute auch kein Highlight war, rotiert soeben schon wieder "Do Hollywood" auf meinem Dreher. Wehmütig schaue ich auf das Cover und das Autogramm von Brian & Michael und frage mich, ob wenigstens Berlin vor ausverkaufter Kulisse stattgefunden hat.

Ö


Montag, 21. November 2016

MADRUGADA / Madrugada [LP]

HERZPLATTENREMEBER THAT OLD SHIT
Kategorie:  IndieRock, DarkRock, DarkFolk, IndieBlues
Veröffentlichung: 2008

 

Der Begriff "Madrugada" kommt aus dem Spanischen und steht für den Moment kurz vor Tagesanbruch. Davor lag die lange und einsame und womöglich schlaflose Nacht. So stellt man sich die kalten und oftmals sehr langen winterlichen Nächte in Norwegen vor.

Die Band MADRUGADA kam aus Norwegen, aber im Gegensatz zu vielen anderen skandinavischen Bands hatte sie nichts mit Zuckerwatte-Pop oder Jazz am Hut.  

Madrugada schwebten zwischen Folk und Düster-Rock, zwischen Country und Blues. Mit ihrem fünften Studioalbum gelang es der Band Trauerarbeit zu leisten (Gitarrist und Songschreiber Robert Buras starb während der Aufnahmen an diesem Album) und  Melancholie in Töne zu fassen, wie es bisher nur den ganz Großen, wie Jim Morrison, Leonard Cohen, Nick Cave und Johnny Cash gelungen war.

Sänger Sivert Høyem scheut auf "Madrugada" keine Klischees und Posen, um den Mollteppich der Songs mit jeder Menge Pathos in der Stimme (wie Glenn Danzig!) zu untermauern. Bereits die vier, vor kurzem endlich wieder als Vinyl aufgelegten, Vorgängeralben [Industrial Silence (1999), The Nightly Disease (2001), Grit (2002), The Deep End (2005)] zeugten von eindringlicher emotionaler Tiefe, aber mit ihrem 2008 erschienen letzten Album gelingt ihnen ihr größtes Meisterwerk.



Die Magie des Albums liegt in seiner Traurigkeit. Die mit der Akustikgitarre spärlich instrumentierte Ballade "Honey Bee" ist Balsam für verlorene Seelen und rührt zu Tränen. "What's on your mind?" mit den spinettartigen Tönen und der kraftvollen voluminösen Stimme von Sänger Sivert Høyem geht nicht weniger unter die Haut.



Gänsehaut pur verbreitet der vom verstorbenen Gitarristen gesungene spartanische Song "Our Time Won't Live That Long". Emotionaler lässt sich Musik kaum auf Konserve bannen. Definitiv!

"Look away Lucifer" - Madrugada bringen unter Schmerzen die Erlösung.



Tracklist:
01 Whatever Happened To You?
02 The Hour of the Wolf
03 Look Away Lucifer
04 Honey Bee
05 New Woman/New Man
06 What's on Your Mind?
07 Highway of Light
08 Valley of Deception
09 Our Time Won't Live That Long

Freitag, 18. November 2016

JACUZZI BOYS / Ping Pong [LP]

Bereits seit 2007 treiben sich in Miami drei Herren, Gabriel Alcala, Diego Monasterios und Danny Gonzalez, die sich die JACUZZI BOYS  nennen, in der dortigen Musikszene herum und arbeiten an einer Mixtur aus Garage, Psychedelic und SurfPunk. 

 

Nach einigen 7-Inches und der Debüt-LP "No Seasons" veröffentlichte das Trio 2011 das Album "Glazin‘" und legte zwei Jahre später mit "Double Vision" den Nachfolger vor. 

 

Bereits 2010 hatte niemand Geringerer als Iggy Pop im Interview mit Nashville Scene darauf hingewiesen, dass es in Miami eine Band mit bescheuertem Namen, aber einem guten Spirit gibt, die man auf dem Radar haben sollte. Und Iggy hat natürlich recht!


Am 18. 11 erschien nun der vierte Streich, der den Namen "PingPong" trägt und die Band ist nun endlich auch auf meinem Radar erschienen. Warum? Weil die Band mit dem bescheuerten Namen ungeheuer lässig Groove und Rock verbindet.

Mal ganz ehrlich unter uns Freunden der Rockmusik:  Zu Bildern von exzessiven Pool-Partys mit leichtgekleideten Damen, betrunkenen Herren, die alles, was sie in die Finger bekommen, im Pool versenken, Gesichtern, die nicht nur breit grinsen, sondern auch breit sind, passte bisher am besten Musik mit fetten Beats. HipHop, Techno oder ElectroClash.

Die Jacuzzi Boys lassen diese These rigoros verwerfen, denn "Ping Pong" ist eine ungezügelte Partyplatte, zu der man Dinge anstellen will, die man im fortgeschrittenen Alter eigentlich nicht mehr machen sollte! Versuchen wir doch einfach mal die einzelnen Songs in Szenarien umzusetzen.

Party ab mit "Lucky Blade"! Ein angetrunkener Langhaariger mit verklärtem Blick bahnt sich den Weg durch eine Menge, die in Konversation erstarrt scheint. Rüde nimmt er die Katy Perry Scheibe vom Plattenspieler, zieht aus einer mitgebrachten orangefarbenen Plattenhülle Vinyl und legt es zärtlich auf den Turntable. Sanft und ohne zu zittern, was in seinem Zustand schier unglaublich scheint, setzt er den Tonarm auf die Rille.



Es knistert kurz, dann Noise, dann Gitarren. Die Boxen flattern, Köpfe drehen sich, und mit jedem "Hu Hu Hu" heizt sich die Stimmung auf. Ein Mädchen im Ramones-T-Shirt, welches noch nie einen Song der Band gehört hat die sie auf ihrer Brust preist, beginnt zu tanzen.

Nachdem bisher vor allem das weibliche Geschlecht vom Rock-Virus erfasst wurde, beginnen die männlichen Gäste beim brachial einfachen Riff von "Boys Like Blood" zusehend auf die Tanzfläche zu strömen.



Zur "Refrigeration" öffnet eine Dame die obersten Knöpfe ihrer Bluse und eine Flasche Tequilla. Bei "Seventeen" kehren 50% der Gäste ins Zeitalter ihrer Pubertät zurück. Es wird gefummelt, geknutscht und Kissen geschlachtet.

"Can’t Fight Forever". Es riecht nach Schweiß. Die erste Schlacht ist geschlagen und der ein oder andere muss seinem Übereifer Tribut zollen. Vor der Toilette bildet sich eine Schlange aus der Rauch aufsteigt - aus der Toilette hört man Geräusche menschlicher Befriedigung, "Easy Motion"!

Zweite Runde. Zu "New Cross" werden neue Kräfte freigesetzt, eine Vase verabschiedet sich ins Nirvana und ein junger Mann versucht seinen wachsenden Hunger mit dem Abendessen des Haushundes zu stillen.

"Zoo". Jemand löscht das Licht. Einzelne Smartphones werfen bläuliches Licht auf die gespenstische Szene. Wie bei einer Stampede bewegt sich die zuckende unkontrollierbare in Mauern gefangene Masse.



Der Sohn des nicht anwesenden Hausherrn entzündet zu den einsetzenden Klängen von "Gamma" Kerzen. Die Party bebt weiter, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. In der sanften Passage des Songs schlingen sich Zungen umeinander, ehe der Refrain das ruchlose Treiben unterbindet.

Nasse erschöpfte Leiber zucken zu "Strange Exchange" erneut auf. Es regnet bunte Pillen. Endlich fragt jemand, welche Band da die ganze Zeit gespielt wird. Das Mädchen mit dem Ramones-T-Shirt übergiebt sich am Treppenaufgang. Von oben kommt ein Pärchen, die Klamotten noch richtend herab und reicht dem Teenager eine Bier zum Mundspülen.

Auf der Tanzfläche schwingen nur noch wenige Körper zu "Iodine". Ekstatisch, mit geschlossenen Augen, ausufernden Bewegungen, aber mit gebremstem Tempo. Die meisten Körper schmiegen sich müde an Möbel, Wände, Gegenstände, den Haushund oder aneinander. Das Telefon klingelt.

Der Sohn des Hausherrn dreht die Volume herunter und verkündet, dass mit "Tip of My Tongue – Edge of My Brain" der letzte Song gespielt wird, da seine Eltern unerwarteterweise in einer Viertelstunde nach Hause kämen. Er fragt, ob er vielleicht die nächsten Wochen bei jemandem unterkommen könnte und will die Telefonnummer von dem Mädchen mit dem Ramones-T-Shirt.

Seufz. Pubertät und Sturm und Drang - Do you remember?

Tracklist:
01 Lucky Blade
02 Boys Like Blood
03 Refrigeration
04 Seventeen
05 Can’t Fight Forever
06 Easy Motion
07 New Cross
08 Zoo
09 Gamma
10 Strange Exchange
11 Iodine
12 Tip of My Tongue – Edge of My Brain

Mittwoch, 16. November 2016

HONEYBLOOD / Babes Never Die [LP]

Das ich eine Schwäche für Frauen in der Rockmusik habe, ist kein Geheimnis. Bilde ich mir deswegen vielleicht nur ein, dass das weibliche Geschlecht in diesem Jahr ganz besonders mit formidablen Alben um sich wirft? Big Thief ! Angel Olsen ! Field Mouse ! Friends of Gas ! Margarete Glapsy ! Hinds ! Gurr ! Überall Frauen an der Front!

Das Damen-Duo HONEYBLOOD aus Glasgow reiht sich ebenfalls in diese exquisite Aufzählung.

2014 nach dem Ausstieg von Schlagzeugerin Shona McVicar stand Sängerin Stina Marie Claire Tweeddale vor der Frage, wie es weitergehe. Ersatz fand sie schließlich in Cat Myers, mit der es ihr nun gelungen ist, mit "Babes Never Die" Honeyblood  auf das nächste Level zu heben.


Die neuen Honeyblood sind lauter, druckvoller, raffinierter und noch melodiöser als auf ihrem selbstbetitelten Debütalbum von 2014. Nach einem kurzen Intro werfen die Schottinnen bei Song Nummer 2  "Babes Never Die" gleich alles in den Ring, was Honeyblood-Reloaded ausmacht. Was für eine Hookline! Klingt ein wenig nach dem Debütalbum von The Primitives aus dem Jahr 1988, hat aber mehr Dampf und Sängerin Stina Marie Claire hat im Vergleich zu Keiron McDermott neben all dem Wohlklang auch eine gewisse Aggressivität in ihrer Stimme. Trotzdem verströmt der Sound von Honeyblood aber immer irgendwie gute Laune und schürt den Drang, die Tanzschuhe zu schnüren.



Ein schicker kleiner, im Highspeed-Tempo vorgetragener Bastard aus Punk- u. IndieRock  ist "Ready For The Magic ". Man kann förmlich vor Augen sehen, wie die neue Schlagzeugerin Cat Myers ihre Drumsticks galoppieren lässt!

Fuß vom Gaspedal - aber nur marginal. "Sea Hearts" schwankt zwischen GarageRock, Grunge und Anleihen von DreamPop. Fett, fett, fett, die fuzzy Gitarren wollen ja gar nicht aufhören zu klingen und die Breaks geben der Attacke sogar noch mehr Luft. "Hey, hey is this a little heartbreak?" It is!!!



Mit Keys und dezenten Hand-Claps schlägt "Love Is A Disesase" etwas sanftere Töne an, aber im Refrain brechen die Gitarren dann doch wieder durch und die Handschrift von Songwriterin Tweeddale ist unverkennbar. Es gibt nur wenige Bands, die es bereits mit dem 2ten Album schaffen - und das nach diesem radikalen Bandumbruch - ihr Profil so zu schärfen, dass man eine eigene Handschrift erkennt.

"Walking At Midnight " ist die poppigste Nummer des Albums. Die Gitarren halten sich für die Hook und den Refrain im Hintergrund und gegen Ende kommt sogar ein kleines akustisches Intermezzo. Kann man wahrscheinlich sogar, wenn die Sonne erloschen ist, im Mainstream-Radio hören. "Justine, Misery Queen" ist eine melodiös verpackte Abrechnung mit einer Freundin: "Do you wish you hadn't been such a bitch, or do you try hard not to think about it?". Überhaupt teilt Tweeddale auf  ihrem Zweitwerk ordentlich aus und tut ihre Meinung explizit kund, während sie beim Erstling in ihren Texten eher als Beobachterin auftrat.

"Sister Wolf" ist mehr auf Rhythmus als auf Melodie ausgerichtet und Tweeddale klingt rauer und zeigt ihr ganzes stimmliches Spektrum. Wie wichtig das Schlagzeugspiel von Cat Myers  für den runderneuerten Sound ist verdeutlicht einmal mehr "Hey, Stellar". Da hat wohl mal wirklich etwas zusammengefunden, was zusammen gehört!

Und wieder abbremsen! Im Stile von Mazzy Star - die Stimmverwandtschaft zur göttlichen Hope Sandoval wird hier überdeutlich - zelebrieren Honeyblood "Cruel". Alles schwelgerisch, verschleppt und rauschschwadenverhangen bei dieser lupenreinen IndiePop-Ballade.

Bei "Gangs" berichtet Tweeddale von ihrer frühen Jugend in der nicht gerade malerischen Region Oxgangs, südwestlich von Edingburgh. Deswegen das traurige und verletzte, aber doch auch zornig wirkende Mädchen auf dem Cover? Befreit sich hier jemand von Altlasten und wächst über sich hinaus? Bitte so weiter wachsen!

Tracklist:
01 Intro     
02 Babes Never Die   
03 Ready For The Magic   
04 Sea Hearts   
05 Love Is A Disesase   
06 Walking At Midnight     
07 Justine, Misery Queen   
08 Sister Wolf   
09 Hey, Stellar   
10 Cruel   
11 Gangs   
12 Outro


Sonntag, 13. November 2016

ROLLING STONE WEEKENDER 2016 - A personal Review

Freitag 4. & Samstag 5.11.2016

Zum sechsten Mal geht es an den Weissenhäuser Strand an der Ostsee zum mittlerweile legendären und immer früher ausverkauften ROLLING STONE WEEKENDER. Waren wir im letzten Jahr noch eine 12-köpfige Gruppe, so sind es in diesem Jahr nur acht Hartgesottene, die das Versprechen einlösen, bis zum Rollator dieses etwas andere Festival zu besuchen.

Wie schon im letzten Jahr klappt die Anreise aus Köln dieses Jahr ohne große Probleme. Der Zug hat zwar einige Minuten Verspätung, aber da wir auf den Anschlusszug in Hamburg nicht mehr angewiesen sind, spielt das keine Rolle, denn der Lenz wartet ja auf uns. Auf dieses Taxiunternehmen ist wirklich Verlass! Als wir im Großraumtaxi sitzen, meldet sich die Dame aus der Zentrale beim Fahrer und ob man es glaubt oder nicht, die Dame heißt tatsächlich Veronika!

Der Transport zum Weißenhäusser Strand verläuft ohne Stau, so dass wir beim Check-In mit reichlich Luft zum ersten Konzert, welches um 17:15 beginnen soll, eintreffen. Während wir das Begrüßungs-Jever zu uns nehmen und auf Professor und Frau Hase warten, die sich bereit erklärt haben die Formalitäten am Schalter zu erledigen, stellt sich das obligatorische Nach-Hause-Kommen-Gefühl ein. Alles ist wie immer! Das Wetter ist eher mäßig und ziemlich kalt, die Merchandise-Tüte weiter geschrumpft, die Festival-Bändchen hübsch und das in freudiger Erwartung gutgelaunte Publikum nicht mehr ganz taufrisch.

Wie immer sind die Herren aus unserer Truppe schneller frisch deodoriert und in Schale geworfen und so kommen wir nur wenige Sekunden, nachdem AMANDA PALMER das Festival eröffnet hat, im Zelt an. Das Zirkuszelt ist gut beheizt und ich komme schon ins Zweifeln, ob ich mit der dicken Jacke wirklich die richtige Wahl getroffen habe. Aber um das ewige Rein- und Rausspiel kommt man beim Indoor-Festival mit vier Spielstätten sowieso nicht drumherum.

Amanda ist leider ohne Band da, also nix Dresden Dolls, dafür aber ein großer weißer Flügel inmitten der Bühne. Das Konzert beginnt Amanda allerdings mit einer wagemutigen Version des Radiohead Hits "Creep" - man weiß ja , dass sie einen Hang zu Coverversionen hat. Sie steht am der Bühne gegenüberliegenden Pult bei den Licht- u. Tontechnikern mit einer Gitarre und versucht, gegen die Unruhe im Zelt anzusingen. Das klappt leider nur bedingt und haut mich nicht wirklich vom Hocker, obwohl ich den Song schon 1000 Mal gehört habe und immer noch liebe.

Nach diesem zarten Auftakt bahnt sich Amanda einen Weg durch das Publikum, entert die Bühne, schenkt sich ein Glas Rotwein ein, platziert das Glas auf dem weißen Flügel und beginnt mit ihren Pianoballaden, die an einigen wenigen Stellen an Tori Amos erinnern. Im Gegensatz zu Amos setzt Palmer aber mehr auf Theatralik und Überzeichnung als auf Emotionalität. Ich kann damit nicht viel anfangen, weil mir ihre Musik zu sehr künstlerisch gewollt und aufgesetzt wirkt. Aber trotzdem ist die New Yorkerin sehr sympathisch, auch weil sie versucht, das noch sehr unruhige Publikum mit Ansagen und ihrer Power einzufangen.



Fazit: Für den Festival-Start und das große, sich erst gemächlich füllende Zelt zeigt sich, dass Pianoballaden eher ungeeignet sind. Es hätte Publikum und Künstler sicher mehr gebracht, wenn man hier statt der Zeltbühne den Baltic Festsaal als Location gewählt hätte. Als nächstes begebe ich mich mit Frau H. genau dorthin, weil ich JULIA HOLTER unbedingt sehen möchte, auch wenn in der Alm mit SUNS OF THYME starke Konkurrenz am Start ist.

Der Baltic Festsaal ist schon gut gefüllt, was auch kein Wunder ist, da die Amerikanerin 2015 mit "Have You in My Wilderness" ihr reifestes und von Kritikern hochgelobtes Album herausbrachte. Ein Album, welches ich immer sehr gerne dazu hernehme, um jemandem zu erläutern, dass sich Musikgenuss auf Vinyl und als digitale Datei vorliegend gravierend unterscheiden können.

Leider klappt irgendetwas nicht so wie es soll und der Auftritt der eigentlich um 18:45 starten sollte, verzögert sich um 30 Minuten, was bei einem so eng getakten Festival wirklich sehr ärgerlich ist. Wir holen uns frischen Gerstensaft und quatschen bis es endlich so weit ist. Leider wird schnell klar, dass sich das Warten nicht wirklich gelohnt hat.  



Julia wirkt sehr introvertiert und schafft es nicht, ihren hochemotionalen elektrifizierten Singer/Songwriter-Pop so rüberzubringen, dass er wie auf Vinyl unter die Haut geht. Das liegt einerseits daran, dass die in L. A. geborene Musikern eben keine Person ist, die mit ihrem Erscheinen die Bühne füllt, aber auch am Sound, der zwar klar ist, aber in der Feinabstimmung sehr zu wünschen übrig lässt. Dann merkt auch noch das Publikum, dass das heute kein Sahneauftritt von Julia Holter wird und verlässt mehr und mehr den Saal. Auch wir entschließen uns dazu vorzeitig abzubrechen, wenigstens hatte sie da schon den wunderbaren Song "Feel you" gespielt, und machen uns auf den Weg ins Zelt, wo die alten Herren von THE SONICS schon angefangen haben ihr Bestes zu geben.



Im Zelt treffen wir auf den Rest unserer Truppe, der mit den Suns of Thyme wohl die bessere Wahl getroffen hat, denn die Stimmung ist gut und alles schwärmt vom Retro-Psychedelic-Sound der Berliner. Mmmmh. Nach Julia passen mir die bereits seit 1960 die Welt mit Beat-, Rock 'n' Roll und GarageRock versorgenden Amerikaner in ihren dunklen Anzügen gut ins Konzept. Die Herren haben noch Spielfreude und in ihren Reihen einen Gitarristen, der wie Rooney aussieht! Klar, die Songs funktionieren zu 90 % nach Schema-F und sind nicht wirklich innovativ, aber meine Stimmung hebt sich, denn im Zelt passt das. Es sind nicht alle aus unserer Konzertgruppe glücklich damit, aber unglücklich wird durch The Sonics auch niemand.



Das erste wirkliche Highlight des Weekender 2016 wartet dann mit JOHN MORELAND im Witthüs auf uns. Das Witthüs war früher mal eine wunderbare leicht abgeranzte Disco mit Kuschelecken und dunklen Ecken und Nischen und hat beim Umbau jetzt den Charme einer 80er-Jahre Eisdiele oder Unternehmenskantine erhalten. Man setzt seine müden Füße zum Großteil auf kalte blitzende Fliesen und die Konzertbühne ist hinter unzähligen Säulen versteckt und so untergebracht, dass man wenn man Pech hat, sogar das Biereinschenken an der Theke hört. Eigentlich also kein Ort für ein Konzerthighlight, aber das hat wohl niemand John Moreland verraten, dem mächtigen volltätowierten Ex-Forntmann einer Hardcore-Punk-Band.

Der gewaltige vollbärtige Mister Moreland lebt in Oklahoma und hat eine beeindruckende Körperfülle, die aber längst nicht so beieindruckend ist wie seine mit rauchiger Stimme vorgetragenen sensiblen Folksongs, die sich hauptsächlich um seine Lebenwelt im mittleren Westen drehen. Sehr beeindruckend, sehr gefühlvoll und Dank des, wenn auch traditionellen, aber cleveren Songwritings auch auf Dauer nicht langweilig -  was bei  traditionellen Folksongs ja mal schnell passieren kann.



Ein paar Dumpfbacken müssen ja immer während eines Konzertes labern, aber für das Witthüs war das Publikums schon ziemlich andächtig, so andächtig, dass alle lachen mussten als sich ein Herr in der ersten Reihe umdreht und seiner weiblichen Begleitung, die drei Reihen hinter im Stand zu rief: "Ist das nicht großartig, Jana"! Natürlich etwas peinlich, aber wo er recht hat, hat er recht der unbekannte Musikversteher.

Ich muss jetzt mal kurz abschweifen und mir Luft machen. Ich mache ja auch gerne mal einen Schnappschuss mit dem Handy bei einem Konzert, aber muss es eigentlich sein, dass jeder zweite Vollpfosten sein handtaschengroßes Handy mir vor die Augen schieb,t um soundqualitativ unterirdische, verwackelte Clips zu erstellen? Von zehn Live-Videos auf YouTube sind doch mindestens sieben so hundsmiserabel, dass der Künstler die Uploader eigentlich wegen Rufschädigung und nicht wegen Rechteverletzungen verklagen müsste.

Und kann es sein, dass der Weekender immer mehr Menschen anzieht, die in Vereinigungen von Schützen oder ähnlichem Getier unterwegs sind? Oder warum wird der Geräuschepegel bei den Konzerten von Jahr zu Jahr höher? Freunde, ich gönne euch wirklich jedes einzelne Bierchen und auch jedes lustige Gespräch sowie jeden unvermeidbaren Flirt, aber haltet doch beim Konzert mal einfach eure Klappe. Das ist störend und selbst für Künstler, die es gewohnt sind in Pubs aufzutreten, eine bodenlose Respektlosigkeit.

Irgendwie habe ich nach dem Konzert von John Moreland riesigen Hunger ;-). Die Grillbude steht natürlich wie immer vor dem Zelt und die Preise sind wie auch für das Bier (4 EUR) konstant geblieben. Ich stärke meinen ausgezehrten alten Körper mit einem Nackensteak und einer Schinkenbratwurst - die echte Bratwurst ist anscheinend in der Nordhälfte Deutschlands zusehends vom Aussterben bedroht. Die Nackensteaks sind lecker, was man von den von unseren Damen getestetem Grillkäse wohl eher nicht behaupten kann - außer man is(s)t Gummifetischist.



Schnell ins Zelt, wo bereits Jon Spencer, ja der von der Blues Explosion mit seiner Zweitband BOSS HOG die Bühne rockt. Den Kern der Band, die nur sehr sporadisch Platten veröffentlicht (1990, 1995 und 2000) bildet BluesRocker Jon Spencer mit seiner ihm angetrauten Gattin Cristina Martinez. Viel wusste ich über dieses Sideprojekt nicht - obwohl in meinem Plattenschrank natürlich auch Vinyl von Pussy Galore und The Jon Spencer Blues Explosion beherberge - weswegen ich Tante Google befragen musste und mich köstlich darüber amüsierte, wie Wikipedia die Entstehungsgeschichte der Band beschreibt:

"Boss Hog was formed in 1989, as something of an accidental side project, when Cristina Martinez and Jon Spencer were told of a last minute vacancy on the bill at the influential New York punk club CBGB's. The pair put together a group of musicians from members of The Honeymoon Killers and Unsane, along with Kurt Wolf from Pussy Galore. The gig is reported to have been an underground sensation in New York, not least because Jon performed the whole show naked."

Heute Abend aber trug Jon ein Stöffchen und auch seine Herzdame war verhältnismäßig züchtig gekleidet. Wirklich beurteilen möchte ich den Auftritt aber nicht, da ich nur zwei Songs wirklich wahrnehmen konnte, ehe ich mich zu entscheiden hatte, ob es in den Festsaal zum Grantler JOHN GRANT oder zu den nervigen NERVEN in die Alm gehen sollte. M&M haben den Auftritt von Boss Hog ganz gesehen und ausgiebig geschwärmt. Am letzten Abend in der Indie-Disco sagte P. aus der Bochumer-Truppe, die wir jedes Jahr im Zug treffen, dass Boss Hog sein absolutes Festival-Highlight waren. Ok, dann also auf das für 2017 angekündigte neue Album "Brood X" warten und dann kommt der Jon doch bestimmt noch mal ins Gebäude 9 in Köln - hoffe ich!

Der Gewinner sind die Nerven! Einerseits weil ich jetzt mal ordentlich was auf die Ohren brauche und andererseits weil mein treuer Konzertbegleiter C. und die unverwüstliche V. wahrscheinlich noch in 100 Jahren von dem von mir leider verpassten Auftritt der Nerven im King Georg in Köln schwärmen. Also auf in den Attacke-Modus und in die Alm! An den bescheuerten neuen Namen der Location werde ich mich aber wohl nie gewöhnen. Früher war halt alles besser, auch das Rondell ;-).

Bevor wir meine Lieblinslocation bei diesem Festival entern, stelle ich bestürzt fest, dass es keinen Gyros-Stand mehr gibt, aber dann ist schon alles gut, denn die Nerven hauen uns ihren nervigen deutschsprachigen PostPunk um die Ohren.



Mit dem 2012 erschienenen Debütalbum "Fluidum" begann die ursprünglich aus Stuttgart stammende Band, die jetzt in Berlin lebt, was kein Wunder ist, wenn man aus Stuttgart kommt, ihren musikalischen Weg. Der Nachfolger "Fun" (2014) wurde durch und durch berechtigt zu einer Erfolgsgeschichte und das aktuelle Album "Out" (2015) festigte den Status des Trios als eine der derzeit wichtigsten deutschen Bands. Und ganz nebenbei etabliert sich Nerven-Frontmann Max Rieger noch als Solo-Künstler (All diese Gewalt) und Produzent mit feinem Näschen (Friends of Gas!)

Zurück zum Konzert: Rieger und Bassist und ebenfalls Sänger Julian Knoth bilden zusammen mit Schlagzeuger Kevin Kuhn ein echt magisches Dreieck, sobald sie auf der Bühne stehen. Das Auge weiß kaum wohin, denn alle drei verfügen über das, was man eine ausgeprägte Bühnenpräsenz bezeichnet. Sehr sympathisch wie sie sich gegenseitig Spielräume gewähren und mit welcher Leidenschaft Herr Kuhn, in gestreifter Unterhose und King-of-Pop-T-Shirt, wie ein Ritalin-Junkie auf Entzug, seine Felle bearbeitet. Über die Songs brauche ich an dieser Stelle eigentlich keine Worte mehr zu verlieren, denn selbst in das entlegenste sauerländische Kaff dürfte es sich herumgesprochen haben, dass diese Band großartige Songs schreibt!



Den Tagessieg vergebe ich jetzt schon an die Nerven, denn DINOSAUR JR konnte ich live schon ein paar Mal erleben und egal wie großartig der Dino auf Platte ist, live sind sie nie so gewaltig. Es steht fest, ich gehe sogar barfuß durch die Scherben, um die Nerven möglichst bald wieder live erleben zu dürfen!

Und weil John Grant auch ein großartiger Musiker ist, schnell noch einen Clip von ihm einbetten und sein Meisterwerk-Album "Pale Green Ghosts" aus 2013 lobpreisen, bevor es zu den Dinos in die Zeltbühne geht.



Die Dinos sind eine meiner Leib- und Magenbands, deswegen kann man hier keine objektive Meinung von mir erwarten. Ich weiß, dass sie nicht die beste Live-Band sind, meistens ist die Stimme von J. Masics kaum zu hören und die Interaktion mit dem Publikum beschränkt sich meistens auf ein "Hello".

Egal, wenn  DINOSAUR JR auf der Bühne stehen ist es mir trotzdem immer ein Fest. Heute Abend geht es sogar mit dem Sound, das neue Album "Give a Glimpse of What Yer Not" ist ausgesprochen fett und als sie dann "Feel the Pain" spielen, ist für mich die Welt sowieso in Ordnung.



Die Füße tun weh, aber zum Abschluss geht es natürlich zur After-Show-Party ins Witthüs. Am DJ-Pult steht der altbekannte DJ und haut einen Gassenhauern nach dem nächsten aus den Boxen. Klar, das sind alles Songs, die man liebt, aber halt zu 90% auch Songs, die man schon 1000 Mal in der Indie-Disco gehört hat. Aber, was mir vor allem das Tanzen anfangs etwas verleitet, ist, dass das DJ-Set keinen richtigen Flow hat und dass man auf den bekackten Fliesen auf der Tanzfläche festklebt. Aber wir halten bis kurz nach drei Uhr durch, dann geht es ab in Bettchen, wo trotz qualmender Füße die Augen sofort zufallen.

Da wir dieses Jahr wegen widriger Umstände sehr früh ins Bett kamen, schaffe ich es im sechsten Jahr doch tatsächlich zu den Lesungen! Nach ausgiebigem gemeinsamen Frühstück mit traditioneller stärkender Hühnerbrühe und sehr kurzem Strandspaziergang im Regen geht es ins Witthüs zu SCHORSCH KAMERUN, der dem ein oder anderen als Sänger der Band Die Goldenenen Zitronen bekannt sein dürfte.

Schorsch schreibt auch, aber das ist eigentlich nicht so interessant wie die Person Schorsch Kamerun. Und weil Schorsch das weiß, bricht er mit allen Erwartungen und verkündet, dass er heute keine einzige Zeile aus seinem Buch lesen möchte. Stattdessen hat er einen Redakteur vom Rolling Stone Magazin mit auf die Bühne gebeten und bietet dem Publikum eine Art Talk-Show. So etwas kann auch in die Hose gehen, aber dazu hat Schorsch viel zu viel zu erzählen und der Mann vom Rolling Stone ist schlau genug, den Schorsch einfach erzählen zu lassen.

Neben dem Erzählen von Schwänken aus der Punk-Jugend und politischen Breitseiten, z.B. gegen den nicht wirklich grünen Winfried Kretschmann, einem herrlichen Diss gegen Herrn Westernhagen, findet Schorsch noch Zeit, mit einer App alte Zitronen-Hits anzuspielen und ins deutsch übersetzte Scooter-Texte vorzutragen. "Ich bin der Pferdemann!", "Was kostet der Fisch?" bisher wusste ich gar nicht wie tiefgründig und künstlerisch wertvoll die Texte des blonden Hünen wirklich sind!

Kurze Pause, dann Lesung von BENJAMIN VON STUCKRAD-BARRE aus seinem Buch "Panikherz". Fette Beats ertönen, dann betritt Stuckrad-Barre, wie es sich für einen Popstar gehört, die Bühne. Der Mann, der den Rockzirkus wollte und fasst darin umkam, schaut ausgezerrt, fast asketisch aus. Er macht kleine, auch ganz gute Späßchen und beginnt dann mit dem Lesen. Er ist nicht der beste Leser, etwas monoton, aber was er zu erzählen hat, ist kurzweilig, interessant und sicherlich auch zum Nachdenken.

Benjamin kommt sympathisch rüber, nur einmal lässt er den German-Psycho, als den in die FAZ einst bezeichnete, heraushängen, als er einen fotografierenden Zuschauer vor dem gesamten Publikum durch den Kakao zieht. Solche Geschichten sollte man Herrn Ruf überlassen und man merkt Benjamin auch an, dass es ihm selber etwas peinlich ist, weil er sich da nicht richtig im Griff hatte. Aber Stuckrad-Barre ist auf dem richtigen Weg, die Lesung gelungen.

Irgendwann schleichen wir und dann aus dem Saal, ist ja schließlich nicht die LitCologne hier, sondern ein Musikfestival und in der Alm wartet die Neuseeländerin ALDOUS HARDING auf uns, von deren Stimme mein treuer Konzertbegleiter C. ganz hingerissen ist.

Und wie so oft zeigt der Samstag dem Freitag bereits beim ersten Konzert die Harke. Vom ersten Ton und speziell der ungewöhnlichen Mimik und Gestik an stehe ich in Flammen. Was für eine Inbrunst! Was für eine Hingabe! Die von mir bisher nie wahrgenommene Aldous Harding betreibt Ganzkörpersingen. Sie verdreht die Augen, verzieht ihr Gesicht zu unglaublichen Grimassen, die an den Film Der Exorzist erinnern und verbiegt ihren Körper. Ja, man kommt nicht umhin zu sagen, dass sich diese Künstlerin in ihren Songs hingibt.



Und diese Hingabe lohnt sich! Das Publikum traut sich kaum zu atmen, um den Vortrag und die Magie, die von ihm ausgeht, nicht zu zerstören. Die zarten Folk-Balladen vorgetragen mit der akustischen Gitarre und sporadisch von eine Keyboarderin begleitet, gehen nicht nur unter die Haut, sondern an die Nieren. Harding singt von Alkohol- und Drogenproblemen, von Alltagssorgen und dem Schlachtfeld der Liebe. Wer 2012 schon beim Weekender war, der wird sich sicher an Jacqueline Blouin erinnern, deren Auftritt damals ähnlich intensiv war.

Nach den Nerven, ist Harding dieses Jahr bis hierhin auf jeden Fall das zweite Highlight des diesjährigen Weekenders! Und dann gibt es nach dem grandiosen Konzert doch tatsächlich auch noch Vinyl zu kaufen und Aldous erscheint nach einer kurzen Zigarettenpause, um das erworbene schwarze Gold zu signieren. Alles perfekt! I'm in Love! Und auch wenn mir nicht alle in unserer Festivalgruppe zustimmten, behaupte ich auch heute noch, im absolut nüchternen Zustand, dass Aldous Harding und Scarlett Johansson definitiv eine Ähnlichkeit aufweisen.

Nach einem kurzen Blick ins Zelt, wo gerade AGNES OBEL performt, was bei dieser Art von Musik auf der lauten Zeltbühne nur sehr bedingt funktionieren kann, beschließe ich, der Alm treu zu bleiben und nicht wie eigentlich vorgesehen zu KULA SHAKER zu pilgern. Eine Fehlentscheidung, wie sich später noch zeigen wird.

Vor der Alm hat sich bereits eine riesige Schlange gebilde,t um JOHN PAUL WHITE zu sehen. Herr White ist mir bekannt als ein Teil der Folk-Duos The Civil Wars, welches sich 2014 trennte. Mal sehen, ob der Solokünstler White genau soviel zu bieten hat wie einst im Duo mit Joy Williams.



Die sanfte Stimme Whites ist gleichzeitig ein Segen und ein Fluch, denn da das Songwriting eher bieder ist, klingen diese sehnsuchtvollen Lieder oft nach "Ponyhof". Reiben kann man sich an den Songs wahrlich nicht - "What’s So" ist eine Ausnahme. Alles glatt, alles zu brav. Lediglich, wenn White mit seinem Mitmusiker Harmoniegesänge darbietet, kann ich mich für das Konzert erwärmen, das mich ansonsten zwar schön einlullt, aber mir keinen wirklichen Nährwert bietet. So beschließen der Professor und meine Wenigkeit uns von der Alm zu machen, um doch noch wenigstens ein paar Songs von Kula Shaker zu erleben. Schließlich ist den Briten mit "K 2.0" so etwas wie das Comeback-Album des Jahres gelungen!

Kacke! vor dem Baltic Festsaal ist eine riesige Schlange. Wir überlegen kurz, ob wir eine Chance haben durch die Toiletten zum Konzert zu kommen, aber da gibt es ja mittlerweile kleine Zettelchen und so ist die Chance eher gering, weswegen wir uns brav einreihen. Gott sei Dank gibt es ja seit 2015 Monitore vor den Locations, wo man das Treiben im Saal verfolgen und hören kann. Im Falle von Kula Shaker tut es weh, denn man sieht, dass Crispian Mills, der keinen Tag älter geworden zu sein scheint, und seine Jungs den Laden richtig rocken!



Folgerichtig wird jeder, der den Baltic Saal verlässt, mit Jubel begrüßt, da die Ordner nur so viele reinlassen wie auch rauskommen. Nach einigen quälenden Minuten erhalten wir Einlass und können live erleben, was sich draußen schon abgezeichnet hat: Kula Shaker sind großartig! Wir erleben die Band inklusive eines fetten Zugabenblocks noch ca. 30 Minuten und bekommen außer "Let Love B(with you)" so ziemlich jeden Hit geboten. Die Band platzt schier vor Spielfreude, was allerdings sehr schade um die schicken Anzüge wäre, in die sich die Kapelle gezwängt hat. Absoluter Höhepunkt war übrigens "Get Right Get Ready", welches die Band so basslastig und rockig gespielt hat, dass man stellenweise dachte, die Jon Spencer Blues Explosion stehe auf der Bühne!

Jetzt mal schnell ins Zelt schauen was FUNNY VAN DANNEN zu bieten hat. Aber was zu befürchten war trifft ein. Das große Zelt ist für einen Künstler wie Funny van Dannen absoluter Blödsinn. Hier benötigt es ganz andere Dinge als kluge und witzige Texte, um die Masse zu begeistern. Die irgendwie ja oftmals gleich klingenden Songs des Liedermachers haben hier leider leider absolut keine Chance. Das Publikum ist noch lauter als normal und so mache ich mich doch wieder schnell auf in die Alm, wo die pubertären Wortakrobatinen SCHNIPO SCHRANKE ein Tête-à-Tête geben.

Leider auch hier schon wieder eine Schlange! Verdammt, hätte nicht gedacht, dass das klassische Weekender-Publikum die beiden Hamburgerinnen mit ihrem - Zitat der Zeitschrift Intro - HipHop-Chanson-Fuck so begeistern kann. Setzte aber darauf, dass in Bälde wieder einige den Laden verlassen werden, denn es ist schon ungewöhnlich, um nicht zu sagen gewöhnungsbedürftig, was die beiden Girls Daniela Reis und Friederike Ernst so vom Stapel lassen. Also der Kälte trotzen und vor den Toiletten auf Einlass warten - passt ja gut zu "Pisse" ;-).

Drei Songs muss ich vor dem Monitor ausharren, dann endlich rein ins Warme, wo gerade die Geliebte im "Schrank" besungen wird. Man merkt schon, dass ein Teil des Publikums irritiert ist von den expliziten Texten der Damen, aber ich würde schon sagen, dass sich der Großteil, wie auch ich, köstlich amüsiert. Kaum zu glauben, dass die beiden eigentlich an der Musikhochschule Frankfurt mit der Berufsperspektive klassisches Orchester studierten. Glaubhaft ist dagegen, dass die beiden das Studium viel zu langweilig fanden und deswegen 2015 die Band Schnipo Schranke gründeten.



Ich bin mir nicht sicher, ob das Konzept Trash-Chanson mit ekligen Texten über mehrere Alben trägt, aber das wird man ja sehen, wenn im nächsten Jahr das neue Album erscheint. Jetzt und heute macht es auf jeden Fall riesig Spaß, dem Publikum und auch den Damen, denen das Grinsen ins Gesicht geschrieben steht, und die gleich zweimal ihren Hit "Pisse" performen. Highlight, weil bisher nicht gehört, ein Song, der mit Fragmenten aus "Du trägst keine Liebe in Dir" von Echt spielt und die noch vernachlässigte Körperflüssigkeit Kotze thematisiert. Würg! Noch zwei Fragen: Seid ihr eigentlich wirklich unrasiert und war der Miet-Keyboarder mit dem ärmellosen T-Shirt von Babyman ausgeliehen?

Schluss mit lustig! Im Zelt spielt eine Band, die mit "The Waiting Room" in diesem Jahr einen Anwärter auf das Album des Jahres ins Rennen schicken. Stuart A. Staples von den TINDERSTICKS ist einer der Sänger, bei dessen Stimme sich meine noch wenigen verbliebenen Körperhaare innerhalb von Sekunden in aufrechte Position begeben. Die Zeltbühne ist für die sanften Klänge der Tindersticks natürlich auch nur suboptimal, aber den Briten gelingt es trotzdem das Publikum einzufangen. Ja, man kann bei "Hey Lucinda" sogar die Glöckchen hören!



War ich heute eigentlich schon in der Alm? Da spielen die im Moment ziemlich angesagten DRANGSAL. Die machen so auf 80er und singen mal deutsch und mal englisch. Wirklich fesseln konnte mich das doch sehr retrolastige Zeug bisher nicht, aber mal sehen vielleicht kann es mich ja live überzeugen.



Nein, kann es nicht! Im Gegenteil, ich finde die Band, um es in expliziten Worten frei nach Schnipo Schranke zu sagen, ziemlich scheiße. An den Songs ist wirklich nichts, was ich nicht schon aus meiner Sturm und Drang-Zeit kenne. Und ich war zu dieser Zeit der Gruft sehr nahe! Der Sänger ist penetrant redefreudig, aber auf dem Niveau einer Schüler-Cover-Band. Die Band ist keine Band, sondern klar Frontmann Max Gruber untergeordnet und wirkt wie frisch eingekauft. Nach drei oder vier Songs weiß ich, dass mir Drangsal gestohlen bleiben können und mache mich vom Acker.

Mich zieht es ins Witthüs, wo das Trio von DMA'S ebenfalls der Vergangenheit fröhnen. Allerdings der BritPop-Vergangenheit der 90er Jahre oder um genauer zu sein, den Tagen, in denen Oasis noch eine Macht war. Im Gegensatz zu Drangsal machen mir die trink- und redefreudigen Australier Freude. Die Songs haben alle einen Refrain, bei dem es sich schön mitgröhlen lässt und die Melodien sind zwar nicht von der höchsten Güteklasse, aber durchaus charmant und eingängig - wie es sich für BritPop gehört.

Weil ich ein neugieriger Mensch bin, schaue ich kurz vor dem Festival-Finale noch in den Baltic Festsaal, wo RAZZ als Ersatz für die ausgefallenen LUSH spielen. Ich treffe auf M&M, die sich restlos begeistert von der jungen deutschen Band aus dem Emsland zeigen. Mir bleiben noch knapp zwei Songs, um zu folgendem Fazit zu kommen: Gute Live-Band, tolle Stimme, klingen wie die Kings of Leon (nach ihrem Durchbruch). Kann was werden!



Finale! Finale! Wie immer ist die Zeltbühne rappelvoll, was beim Finale und wenn WILCO spielt, natürlich unumgänglich ist. Jeff Tweedy ist ja schließlich schon Stammgast auf diesem Festival. Über die großartigen Live-Qualitäten der Band wurde ja schon genug geschrieben, weswegen ich mich hier nicht mehr groß darüber auslasse. Das Konzert ist wie immer toll, sehr virtuos, und dieses mal sogar mit kleinen Noise-Attacken. Bisher hatte ich das neue Album "Schmilco" nicht zu den stärksten Alben der Band gezählt, aber komischerweise laufen die Songs "If I Ever Was A Child", "Someone To Lose" und "We Are'nt The World (Safety Girl)" seit diesem denkwürdigen Abend in Heavy Rotation in meiner Playlist :-).

Wir schlürfen unser letztes Bier, glücklicherweise immer noch Jever, dass es dieses Jahr übrigens in schönen, mit dem Weekender-Logos der verschiedenen Jahre verzierten Bechern (2 EUR-Pfand) gibt und machen uns dann auf zur Indie-Disco ins Witthüs.

Mein Flehen wurde erhört. Der DJ heute ist wie letztes Jahr weiblich und versteht sein Handwerk. Schon nach wenigen Songs sind wir im Flow. Scheißegal wie der Boden klebt, es wird getanzt bis in die frühen Morgenstunden. Um kurz nach 5 Uhr verabschiedet uns die DJane mit Ton Steine Scherben, wozu sich P. aus der Bochumer-Gruppe, dem wir Asyl gewährten, als absolut textsicher beim "Rauch-Haus-Song" erweist - sehr sympathisch! Und wo war eigentlich dieses Jahr Thees Uhlmann?????

Das war der Weekender 2016. Die Nacht war zwar nur kurz, denn um 13 Uhr erwartete uns schon wieder Taxi Lenz für den Transfer nach Hamburg, aber ich bilde mir ein, dass ich schon einen dickeren Kopf hatte als dieses Jahr. Die Heimfahrt mit der Deutschen Bahn nach Köln verlief reibungslos, etwas spooky war allerdings ein älterer Herr - den man ohne weiteres für einen Horrorfilm besetzen könnte - der angeblich im Auftrag der DB in unserem Abteil eine Umfrage durchführte. Wir sind uns nicht sicher, ob das stimmte oder ob der Herr nicht in Wagen 7 lebt und seit Jahrzehnten dort die Umfragen immer mit dem gleichen Zettel, wo er dann die Antworten nach Aufnahme wieder wegradiert, durchführt. Seltsam, aber so steht es geschrieben!

TschÖ ... bis zum nächsten Weekender!

Vielen Dank für die Fotos an
Michael Nowottny [www.labor-ebertplatz.de] + den treuen Konzertbegleiter C.

Fakten:
- Der Wasser-Walk in der Passage ist auch in diesem Jahr nicht für Personen mit einem Körpergewicht über 20 Kilogramm zu empfehlen!

- Der Edeka vom Jens hat sich auf die vielen Besucher eingestellt und ist vorbereitet. Nur etwas mehr Körnerbrötchen dürften um 11 Uhr noch da sein.

- Die lustigen Fotowände am Strand sind verschwunden.

- Zum ersten Mal verliert der FC Köln  (1:0 gegen Eintracht Frankfurt) und zum ersten Mal gewinnt der FC Schalke 04 (3:1 gegen Bremen) am Weekender-Wochenende.
 

Montag, 7. November 2016

QUICK & DIRTY: DER RINGER + ISOLATION BERLIN / Ich gehör nur mir allein [EP]

Veröffentlichung: 18.11.2016
Kategorie: IndiePop, Alternative
Country: Berlin, Germany


Der Ringer:
Jonas Schachtschneider, Jakob Hersch, Jannik Schneider, David Schachtschneider, Benito Pflüger

Isolation Berlin:
Tobias Bamborschke (Gesang, Gitarre), Max Bauer (Gitarre, Orgel), David Specht (Bass), Simeon Cöster (Schlagzeug)




Es ist eher selten, dass sich Bands, die miteinander auf Tournee sind, ineinander verlieben. Noch seltener ist, dass dabei etwas Produktives entsteht und noch viel seltener, dass dieses Produkt der Liebe dann auch vorzeigbar ist. Im Falle von DER RINGER + ISOLATION BERLIN darf man sich aber freuen, denn die EP "Ich gehör nur mir allein" ist ziemlich unendlich schön geworden.

Die Staatsakt-Label-Kollegen Stereo Total wollten dieses Jahr bereits zu schön sein, die Band-Kooperation Der Ringer + Isolation Berlin kann darüber nur lachen, denn sie sind bereits zu schön, was der erste Song "Ich bin so unendlich schön" unverständlich klar macht.

Und schön sein ist eine Last! Alle wollen einen berühren! Nie hat man seine Ruhe, singen Jannik Schneider von Der Ringer und Tobias Bamborschke. Nur schauen, nicht anfassen ist die Devise des Songs, der damit ganz wunderbar auf die unanfassbaren Pornoabziehbilder im Netz anspielt.



Das zweite Stück "Wolke/Rekall" ist IndiePop in eine rosafarbene Wolke aus Keyboardklängen verpackt. Nicht Zeit, sondern Melancholie tropft aus der Wolke. Bei "Ein Traum" scheppern die IndieRock-Gitarren, das Schlagzeug stolpert. Ist der Liebeszauber schon am Ende? Alles nur geträumt? Tja, The Angst und die Liebe!

Love ist und bleibt ein Battlefield! Auf diesem blutigen Schlachtfeld haben die Jungs deswegen ein bisschen Field Recording für den Song "M10" betrieben. Sehr gespenstisch, sehr liebevoll und garantiert kein Stück mit Romantik unterfüttert.

Der Abschluss des Liebesrausches findet dann anscheinend im Pub statt. Assoziationen zu "My Friends Don’t Like Me": Bier! Bier! Bier! Und die Frage lebt Shane MacGowan eigentlich noch?

PS: Der Ringer veröffentlichen am 30.01.2017 ihr Debüt-Album bei Staatsakt. Isolation Berlin ziehen sich nach den Dates im Dezember zurück, um ihr zweites Album aufzunehmen. Und für 2017 hoffen wir auch, dass Ja, Panik den Frischlingen im Label wieder zeigen, wo der Barthel den Most holt ;-).

Tracklist:
01 Ich bin so unendlich schön
02 Wolke/Rekall
03 Ein Traum
04 M10
05 My friends don't like me

Donnerstag, 3. November 2016

YOU CAN'T WIN CHARLIE BROWN / Marrow [LP]

Im September 2014 habe ich die portugiesische Band YOU CAN'T WIN CHARLIE BROWN mit ihrem Album "Diffraction/Refraction" vorgestellt und Vergleiche zu Alt-J und Bon Iver gezogen. Auf dem neuen Album "Marrow" greifen diese Vergleiche nicht mehr, denn die Portugiesen setzten nun deutlich mehr flächige, ins Psychedelische driftende, rockigere Sounds ein. Hier und da sind noch elektronische Frickeleien auszumachen, aber kein Vergleich mehr zum vorherigen Album. Das Gute ist, die Band ist keinen Deut schlechter geworden!


Der Album-Opener "Above the Wall" ist der perfekte Einstiegsong. Die höchst rhythmische Nummer beginnt verhalten mit blubberndem Beat, dezenten Hand-Claps und feinem Basslauf, dann setzt die Stimme ein und sobald sich die Gitarren sich immer mehr zu Wort melden, geht die Post richtig ab. Hypnotische Nummer, die live bestimmt gewaltig abräumen wird. Wie wäre es mit einer kleinen Deutschland-Tour?


Ola, das Riff, welches "Linger On" eröffnet, ist richtig knackig und die vielen Wendungen im Song bezeugen erneut die herausragenden Songwriter-Qualitäten der Band. Die Gitarren dürften sich dieses Mal im MathRock-Gefilde austoben und Hand-Claps scheinen ein neues Lieblingswerkzeug der Lissaboner zu sein.

Klassischer AlternativRock mit gewohnt exzellenter Gitarrenarbeit wird bei "Pro Procrastinator" gereicht. Erinnert stellenweise an Band of Horses, traut sich aber zwischendurch auch immer wieder Sperenzchen einzustreuen.

Die besinnlich melancholische Ballade "Mute" ist für YCWCB-Verhältnisse fast etwas zu glatt, aber auf großen Festivals wird der Song sicher dazu führen, dass zahlreiche Feuerzeuge in die Höhe gehen  und Pärchen die Arme um einanderschlingen.

Mit Retro-Computer-Klängen der Marke Kraftwerk beginnt "If I Know You, Like You Know I Do", dann entwickelt sich eine Nummer, die ähnlich wie der Album-Opener auf eine hynotischen Groove setzt. Bisher war es relativ schwer zu den Klängen der Portugiesen zu tanzen, mit "Marrow" lässt sich dies aber jetzt problemlos bewerkstelligen.


Ja, bei "In the Light There Is No Sun" ist der Vergleich zu Bon Iver dann doch wieder präsent. Ein minimalistischer verschleppter Beat, eine akustische Gitarre, flirren im Hintergrund und eine sanfte Stimme - aber nur bis Minute 2:34, dann ändert der Song abrupt seine Gestalt und mäandert durch psychedelische Landschaften.

"Joined By The Head" schlägt wieder in die "Linger on"-Schiene, d. h. zahlreiche Breaks, feine Tempi-Wechsel und rockigere Töne zu einem marschierenden Schlagzeug-Beat.

Streicher und ein verschleppter Blues-Rhythmus machen aus "Frida (La Blonde)" eine Nummer, die man sich wunderbar als Untermalung für einen romantischen Schwarz-Weiß-Film aus glückseeligen Zeiten vorstellen kann. Der Song ist luftig leicht und schwebt förmlich im Raum. YCWCB zeigen eindrucksvoll wie man Tönen Raum gibt!

ProgRock- und Radiohead-Freunde werden bei "Bones" des öfteren die Repeat-Taste drücken müssen. In dramatischer Weise kann man ein Album wohl kaum enden lassen. YOU CAN'T WIN CHARLIE BROWN halten mit "Marrow" spielerisch ihren Status als beste Alternative Band Portugals!

Tracklist:
01 Above the Wall
02 Linger On
03 Pro Procrastinator
04 Mute
05 If I Know You, Like You Know I Do
06 In the Light There Is No Sun
07 Joined By The Head
08 Frida (La Blonde)
09 Bones

Und zur Freude, weil YOUTUBE und die GEMA sich endlich geeinigt haben etwas vom vorherigen Album: