Date: 22.11.2016
Stattdessen tummeln sich am Ort des Geschehens, bei zugegebenem beschissenem Wetter, nur wenige Menschen - zum Konzertbeginn ist dann etwa der halbe Saal gefüllt - mit exquisitem Musikgeschmack. Aber vielleicht sind es ja auch nur die Umstände, weswegen der Laden nicht aus allen Nähten platzt? Wir sind heute ja auch nur mit vier Mann, Entschuldigung drei Mann und eine Frau, am Start. Egal, das Becks schmeckt auch im Regen und die Vorfreude auf das Brüderpaar ist riesig.
Über den Support verliere ich an dieser Stelle lieber kein Wort, weil M., der weibliche Part von M&M mich sonst schimpft, weil sie den Typ mit der Gitarre irgendwie ganz niedlich fand. Ach, ich sag es doch, ich fand ihn grauenhaft! Und mein treuer Konzertbegleiter C. ist bei diesem Urteil ganz bei mir.
Aber bereits mit dem Entern der Bühne durch die Bekloppten aus Long Island sind meine Bad Vibrations verschwunden. Neben Brian, der sich in Front positioniert und Michael, der sich hinter das Schlagzeug setzt, betreten ein schwarzer Keyborder mit nacktem Oberkörper und an der Schulter umgebundener roter Kuscheldecke, Superman lässt grüssen, sowie eine Bassistin, die meine Tochter sein könnte, die Bühne.
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Nach diesem Auftaktgeplänkel und einigen Kommandos an den Mann, der für den Ton zuständig ist, geht die Post ab. Die Show beginnt mit "I Wanna Prove To You".
Wer aufgrund der späten Geburt oder widriger unzulänglicher Lebensplanung nie Bowie, Queen, The Beatles, T. Rex, die Ramones, Supertramp oder The Who live gesehen hat, der hat heute Abend die Chance, einen wilden Ritt durch die Rock und Pop-Geschichte zu erleben, denn die beiden Brüder bedienen sich aus der Pop-Historie wie antiautoritär erzogene Kinder in einem Süßwarenladen. Die Bühnenpräsenz der beiden ist für ihr Alter (17 und 19 Jahre) schier unglaublich und auch Keyboarder Danny Ayala, der mich übrigens sehr an den jungen Muhammad Ali erinnert, weiß, wie man auf der Stage agieren muss, um das Publikum zu begeistern.
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Neben den vom Debütalbum bekannten Songs wie "Baby, Baby", "How Lucky Am I?" und "These Words" spielt die Band auch zwei neue Songs, die wohl im nächsten Jahr auf einer EP erscheinen sollen. Einer der Songs, der "Night Song" kommt beim Publikum dermaßen gut an, dass selbst M., der männliche Part von M&M, nicht an sich halten kann und die Jungs lautstark auffordert den Song einfach direkt noch mal zu spielen. Was die Band aber natürlich nicht tut, was wiederum nicht schlimm ist, denn wichtig ist nur, dass sie spielen und spielen und spielen ;-).
Der auch auf Platte schon gewaltig herausragende Ohrwurm "As Long As we’re Together" wird live zu einem richtigen Giganten! Kann man Popsongs besser schreiben, besser arrangieren und besser live spielen? Die musikalische Kompetenz strömt den beiden Tausendsasa wirklich aus jeder Pore! Ist aber auch kein Wunder, der Vater ist Songwriter und die beiden haben bereits mit fünf Jahren begonnen Schlagzeug zu spielen und sich dann mit Gitarre, Bass und Keyboard verlustiert.
Wer immer noch nicht kapiert hat, was ihm an diesem Abend durch die Lappen gegangen ist, dem darf ich die Schamesröte noch etwas mehr ins Gesicht treiben, wenn ich erzähle, dass die Lemon Twigs sich erstmals live an die Geheimtippnummer auf "Do Hollywood", "A Great Snake", gewagt haben, dass es ein grandioses Stones-Cover gab, das zu einem perfekten Lemon Twigs-Song mutierte und dass die Band im Zugabenblock den Beatles-Hit "I Want To Hold Your Hand" spielte - in der deutschen Version (""Komm gib mir deine Hand")!
Ein wunderbarer Abend mit einer Band, die im geordneten Chaos hochkonzentriert, immer sympathisch und überallemaßen charmant die Bühne bespielt wie Boris Becker einst sein Wohnzimmer in Wimbledon. Nach dem Konzert meinte eine sehr nette Dame, dass sie heute einen richtigen Scheißtag hatte, aber mit diesem Ende einfach alles zu ertragen sei. Da hat sie recht und weil mein Tag heute auch kein Highlight war, rotiert soeben schon wieder "Do Hollywood" auf meinem Dreher. Wehmütig schaue ich auf das Cover und das Autogramm von Brian & Michael und frage mich, ob wenigstens Berlin vor ausverkaufter Kulisse stattgefunden hat.
Ö
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