12 Jahre! 12 Jahre ist es her, dass mich das letzte Blur-Album "Think Tank" begeisterte. Seit 2003 habe ich dieses Album unzählige Male gehört und Songs wie "Out of Time" oder "Sweet Song" haben sich im meiner Lieblingsliederliste ganz weit nach vorne gearbeitet.
Ganze 16 Jahre ist es her, dass BLUR in Originalbesetzung ein Album veröffentlichten. 16 Jahre! Da kann man eine Familie gründen, ein Haus bauen, einen Baum pflanzen, sich scheiden lassen und in manchen Gegenden (Sauerland, Saarland) sogar schon Großvater werden. Wird das neue Album der Flop oder das Comeback des Jahres?
Also was kann "The Magic Whip"? Kann die magische Peitsche in Zeiten von Shades of Grey (Gähn) noch richtig aufwecken? Knüpft das neue BLUR-Album an dem an, was Damon Albarn mit seinem formidablen Solo-Album vorgelegt hat. Hört man Einflüsse von den Gorillaz oder von The Good, the Bad & the Queen heraus? Oder sind es die alten Blur, die natürlich ebenfalls gigantische Fußstapfen hinterlassen haben? Wie wirkt es sich aus, dass Gitarrist Graham Coxon wieder dabei ist?
Bevor ich den einzelnen Songs des Albums auf den Zahn fühle, noch ein paar Fakten zu "The Magic Whip":
Produziert hat die Platte Stephen Street ein alter Bekannter, der ja bereits mit Blur zusammenarbeitete und Legendenstatus durch seine Arbeiten mit The Smiths erworben hat. Laut Albarn sind die neuen Songs in Hongkong entstanden, um die Zeit zwischen den Konzerten bei einer Asien-Tour zu überbrücken. Ähh ja, verdammter kreativer Bastard, machst du eigentlich nie Pause?
Let's do it:
01. "Lonesome Street": Der Opener groovt, lässt die Spiegelkugel in der Indie-Disco rotieren und brilliert mit Tempi-Wechseln, die es nicht einfach machen werden, dazu den Tanzboden zu beackern. Aber es ist ein echter Blur-Song und es ist geradezu Pflicht dazu mit dem Arsch zu wackeln und sei es nur, um mit dem Hinterteil den Gallagher-Schwestern zu zeigen, dass hier die echten BritPop-Könige aufspielen. Aber nicht vergessen, bei Albarn lohnt es sich auch immer auf die Texte zu hören, so natürlich auch bei diesem konsumkritischen Song.
02. "New World Towers": Langsame mit vielen feinen Spielereien versehene Nummer mit dezenten Afrobeat-Klängen. Klingt wie eine Melange aus Gorillaz und The Good, the Bad & the Queen. Pass the Dutchie ;-)
03. "Go Out":
Coxon is back und er lässt seine "Waffe" ordentlich randalieren, während Damon den coolen Gegenpart gibt und zum schluffigen Beat so lakonisch klingt als verachte er die "störende" Gitarrenarbeit. Brillant!
04. "Ice Cream Man": Hier muss sich Graham etwas zurücknehmen und Damon die Zügel überlassen und der lenkt das gemächliche trabende Pferdchen in Richtung Soloplatte des Vorjahres.
05. "Thought I Was a Spaceman": Blur die ersten 2:50 Minuten auf den Pfaden von Talk Talk. Mehr Kunst als Pop. Dann schält sich eine ArtPop-Nummer hervor, die den Hörer mit einer atmosphärischen Soundglocke überzieht wie Zuckerguss einen wehrlosen Kuchen. Fucking fantastic!
06. "I Broadcast": Kurze Nummer, die gemächlich an Fahrt aufnimmt und in Gesangsstil & Refrain etwas an "Girls & Boys" erinnert. Trotzdem erfrischend, vor allem dank Coxons Gitarrenarbeit. Riff! My Favourit!
07. "My Terracotta Heart": Die Hälfte der Platte liegt hinter mir und noch immer keinerlei Anzeichen von Schwäche. Auch die mit einer Art Handclaps geführte Ballade "My Terracotta Heart" hält mühelos das Niveau. Kleine elektronische Gimmicks und virtuoses gefühlvolles Gitarrenspiel bemalen das Herz aus Terracotta in wunderschönen gedeckten Farben.
08. "There Are Too Many of Us": Marschtrommeln und Streicher wie bei einem Monumentalfilm münden in eine Art SpaceRock-Nummer mit der gleichen melancholischen Tiefe wie "Space Oddity".
09. "Ghost Ship": Relaxter Song mit einer hohen Dosis Sommer- und Hängematten-Feeling. Falls Bacardi mal wieder mit einem Song in die Charts will, um das Feeling zu beleben, bietet sich dieses Stück mit dem sanft brummenden Bass dringlich an.
10. "Pyongyang": Düstere Sciene Fiction-Atmosphäre, Gorillaz-Beats und Lyrics, die von den Erfahrungen Damons bei einem Besuch in der nordkoreanische Hauptstadt berichten. Kann man sich gut vorstellen als musikalische Untermalung für eine Apokalypse - was man sich im Bezug auf das Regime in Nordkorea ja auch gut vorstellen/wünschen kann/darf.
11. "Ong Ong": Blur goes Gaga. Albernes Liedchen mit viel Lautmalerei zum Mitsingen. Erinnert vom Gestus her stark an die Quatschnummer "Lot 105" vom Album "Park Life". Muss ich nicht jeden Tag haben, aber beim geselligen Zusammensein mit Weizensaft sicher erquickend.
12. "Mirrorball":Countryeske Ballade mit asiatischem Flair. Croxon trägt staubige Westernstiefel und trifft sich bei Sonnenaufgang mit Albarn, der seinen Stetson tief in die Stirn gezogen hat, am Rande der Wüstenstadt.
Fazit: Blur wissen noch immer wie man die Peitsche knallen lässt, aber sie tun es deutlich kontrollierter als auf ihren frühen Werken. Blur schafft es die eigene Identität aus glorreichen BritPop-Zeiten zu behalten und sich trotzdem weiter auszudifferenzieren, will sagen, alle Songs des neuen Album sind charakteristische Blur-Songs konnten aber keinesfalls in einer früheren Phase entstehen. Blur ist also noch immer in Bewegung, im Hier und Jetzt, und mutmaßlich auch in Zukunft.
Die Wiedervereinigung Coxons und Albarns ist gelungen. Der smarte Melancholiker und virtuose Singer/Songwriter Albarn profitiert vom Herrn der Riffs und Licks und umgekehrt. So wie es war, so ist es und eben doch nicht. Blur is magic!
... ich bin stolz auf mich, ich habe in keiner Silbe eine Wiedervereinigung der Schmidts erwähnt!
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