Sechs Tage nach den schrecklichen terroristischen Attentaten in Paris gehe ich erstmals wieder zu einem Konzert. Nicht weil ich vorher Angst hatte, sondern weil sich keine Gelegenheit bot.
Natürlich bleibt ein komisches Gefühl, denn auch ich hätte auf einem Konzert von den hochgeschätzten EAGLES OF DEATH METAL sein können, auch wenn sie bei meiner Review ihres letzten Albums nicht so gut weggekommen sind.
Aber die Wut und vor allem die Überzeugung, dass man sich nicht von einem Haufen fehlgeleiteter primitiver Steinzeitmenschen wie der IS sein Leben vorschreiben lässt, hat mich keine Sekunde daran denken lassen, nicht mehr zu einem Konzert oder zum Fußball zu gehen.
Bevor ich mich zum Konzert von SAMANTHA CRAIN äußere, die übrigens einen Tag vor ihrem Köln-Konzert in Paris gespielt hat, möchte ich noch einige Gedanken mitteilen, die mich seit den Anschlägen verfolgen. Wie gesagt, es sind Gedanken, und oft sind es Fragen, auf die es wahrscheinlich keine endgültigen Antworten gibt.
Warum töten Menschen andere Menschen im Namen einer Religion/Ideologie?
Ist Neid die schlimmste Geisel der Menschheit?
Ist es Zeit, unsere westlichen Werte mit allen Mitteln zu verteidigen?
Warum regiert in den sozialen Netzwerken die Dummheit?
Wohin mit der Wut? Wohin mit dem Hass?
Da es in Strömen regnet und die Lieder der amerikanischen Songwriterin größtenteils sehr melancholisch sind, erwarte ich einen wenig erheiternden, sondern eher nachdenklichen Konzertabend. Sehr gespannt bin ich, ob Samantha den Song „Killer“ spielen wird, dessen Lyrics in Anbetracht der Geschehnisse der letzten Tage in Paris geradezu prophetische Züge tragen, obwohl sie sich wie das Video verdeutlicht, auf andere schreckliche Geschehnisse beziehen.
I won’t follow anymore
My feet, my heart, my head are too sore
Wherever they are, there I will be looking
In the rain dark nights of war
Dots of silent guns, and what’s more,
A virtual game of sorts, the killer of sons
The killer of girls, the killer of self
Turned the Garden of Eden into a fiery hell
Struck the rock too many times now no water comes out
They say the worst is over, the lowest reached
But its such a long road, Keep marching!
And if I say what I mean
Use words that are strong and stinging
Woman step down unless you’re singing a song to me
Well I’m here, I’m singing a song
Killer of souls, killer of rights, you are wrong
You made us strangers in our very own homes
Killer of land, killer you will fail
Rake the ground with the fork on your tail
You never saw it coming
No you never knew how
That the poorest and the overrun have overcome you now
They say the worst is over, the lowest reached
But its such a long road, Keep marching!
Zusammen mit einem Gitarristen namens John betritt Samantha die Bühne. Sie zeigt sich bestens gelaunt und scherzt mit dem jungen Mann von Anfang bis zum Ende des Konzertes. Schnell steht fest, dass die Songwriterin aus Oklahoma heute Abend den Schmerz mit Freude bekämpfen will.
Da es mein erstes Konzert von Samantha ist, weiß ich nicht, ob sie ähnlich wie Scott Matthew, der ebenfalls sehr nachdenkliche Lieder hat und bei Konzerten immer sehr witzig ist, ihre Konzerte immer so durchführt oder ob es dem aktuellen Zeitgeschehen geschuldet ist. Zum Glück habe ich meine Konzertbegleiterinnen, die unverwüstliche V. und das hüpfende Yps an meiner Seite und die beiden klären mich auf, dass Samantha auch schon bei ihrem letzten Aufrtritt im Underground (als Support von Deer Tick) den Abend sehr witzig gestaltete.
Trotz der charmanten Einlagen über Lokalpresse-Schlagzeilen wie "Death by Atomic Wedgie" ("Santa Fe" - nähere Ausführungen zur höchst interessanten Wedgie-Thematik siehe den Absatz Danger in Wikipedia) oder verschrobene, aber sympathische irische Bar-Bekanntschaften (Kinks-Cover "Waterloo Sunset"), sind und bleiben die Songs der 29-jährigen Amerikanerin Lieder, die mich strikt fordern, die eigene Denkmaschine anzuwerfen. Gepaart mit der eindringlichen hochemotionalen Stimme von Samantha gehen Stücke wie "Elk City" über das Leben einer jungen Frau, die in einem Kaff am Arsch der Welt für immer versauert oder "Outside the Pale" geradewegs unter die Haut und lassen die Körperbehaarung kerzengerade nach oben stehen. Crain-Songs verbinden auf beeindruckende Weise Wohligkeit mit Nachdenklichkeit.
Trotzdem lachen muss ich als Samantha erzählt, dass sie von ihrem Fenster aus in ihrer Bleibe direkt über dem King Georg heute geschlagene drei Stunden ein Paar beim Sex sehen UND hören konnte und sie sich beeindruckt gibt von der deutschen Standfestigkeit. Was Samantha und ihr gitarrenspielender Part heute Abend zeigen, grenzt aber auch ganz klar an hochsenstitiven Gitarrensex. Also jeder mit seinen Mitteln ;-)
Obwohl der Abend an sich schon an Intimität nicht zu toppen ist, schafft es Samantha mich doch noch einmal ganz besonders zu berühren, als sie einen noch unveröffentlichten neuen Song spielt, der vom einsamsten gut aussehendem Mann (Songttitel maybe "Loneliest Handsome Men"?) handelt. So sanft und so very fein, wie ich immer zu sagen pflege.
Schade, dass das King Georg an diesem Abend nicht aus den Nähten platzt, so wie es die Künstlerin eigentlich verdient hätte, denn wer Songs in seinem Repertoire hat, die so viel zu sagen haben, hätte deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient als nur einen Charterfolg in einem Rinder-Staat wie Manitoba ;-).
Besonderen Dank für "Somewhere All the Time", "Kathleen", "When you come back", "Big Rock" [wo ich leider zum Bierholen genötigt wurde ;-)] und natürlich "Never going back".
Je länger ich darüber nachgrübele denke ich, dass es die richtige Entscheidung von Samantha war, den Auftritt so normal wie möglich zu gestalten. Aber ganz unbeeinflusst bleibt das Konzert im King Georg doch nicht, denn die 29-Jährige spart Songs, in denen es um den Tod geht, größtenteils aus und verzichtet somit auch auf eine Darbietung von "Killer". Wie ich diese Entscheidung finden soll, weiß ich auch einen Tag nach dem Konzert noch immer nicht.
Ö
Für Spätberufene: Review zum aktuellen Album "Under Branch & Thorn & Tree"
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