Am Anfang war der Bass! Um die Jahrhundertwende scharrten sich Auserwählte in Londonder Clubs und huldigten ihm. Was übrig blieb aus Drum 'n' Bass, Jungle und 2-Step nannte man von da an Dubstep.
Verhasst waren geradlinige Trax und Melodie. Die Beats mussten stolpern, die Bässe ultratief sein, und wenn schon Stimmen, dann mussten diese bis zur Unendlichkeit verfremdet sein.
Ein schmächtiger Brite namens James Blake, der zu dieser Zeit tagsüber an der Goldsmith University of London "Popular music" studiert, tingelt nachts durch die Clubs, saugt die Klänge des Untergrunds auf und beginnt sich diese zu Nutzen zu machen.
2009 erscheint seine erste Single "Air & Lack Thereof", bei der sich Blake noch vermeintlich streng an die eingangs erwähnten Grundsätze hält: tiefer fetter Bass und "Störelemente" wie Flippergeräusche.
Aber bald wird ersichtlich, was den Sohn eines britischen Gitarristen von den vielen DJs unterscheidet. Blake hat Musik studiert und er beginnt nach der Dekonstruktion des Sounds mit dem Wiederaufbau. Auf der 2010 erscheinenden EP "CMYK" werden erstmals Melodieführungen deutlicher erkennbar und Blake experimentiert zunehmend mit der vielfachen Verfremdung seiner Stimme.
Mit seinem 2011 publizierten schlicht "James Blake" betitelten Debüt-Album, wird Blake auf der Insel zum musikalischen Wunderkind ausgerufen. Die Feuilletons der Welt überbieten sich mit Lobgesängen und mit dem Feist-Cover "Limit to your Love" gelingt ihm sogar ein veritabler Hit. Mit Dubstep im ursprünglichen Sinne lies sich dieser neue Sound nicht
mehr benennen, deswegen erschuf die Presse eigens für Blake die Sparte
Post-Dubstep. Aber auf dem Album versteckt sich ein Song, "The Wilhelm Scream", der noch gewaltiger ist und der noch deutlicher hervorhebt, wieviel Emotionalität Blake in seine elektronischen Klanggebilde steckt und der zeigt, dass Blake schwer in ein Genre zu pressen ist.
James Blake - The Wilhelm Scream from Alexander Brown on Vimeo.
Mit eben diesem Song (The Wilhelm Scream") war es um mich geschehen, ich erwarb alles, was Blake je herausgebracht hatte und arbeitete mich durch seinen Back-Katalog. Leider führten widrige Umstände dazu, dass ich kein Konzert der damaligen Tour besuchen konnte und auch den Auftritt bei den Electronic Beats in diesem Jahr konnte ich nicht wahrnehmen. Deswegen war es nun absolute Pflicht am Donnerstag, den 10. Oktober James auf seiner "Overgrown"-Tour 2013 die Ehre zu erweisen.
Kurz nach neun betritt Blake die dramatisch ins Licht gesetzte Bühne. James beginnt mit "I Never Learnt to Share". Er sampelt seine Stimme live, immer und immer wieder, es entsteht ein vielschichtiger Loop und so singt er mit sich selbst (und mit dem mitgesampelten Kreischen des Publikums). Als der Bass einsetzt ist es ein gewaltiges Ereignis. Die Hosenbeine vibrieren und die Vibration klettert den Körper hoch und bringt tatsächlich den Kehlkopf zum Schwingen. Ein nie für möglich gehaltenes Gefühl!
"To the Last" ist das erste Stück von der neuen Platte "Overgrown", welches Blake an diesem Abend live spielt. Der Beat schlürft und Blake, begleitet von einem Schlagzeuger und einem Gitarristen, in gleisendes Licht gebettet, beweist, dass seine Stimme auch ohne große Verfremdung Gänsehaut erzeugen kann.
Nach "Life round here" spielt Blake zu meiner großen Freude, nach "Air & Lack Thereof", das großartige "CMYK". Ich würde behaupten, ich höre die Stücke des Briten zu Hause ja schon mit deutlich höherer Lautstärke als so manch andere Musik, aber ich beschließe an diesem Abend, dass es immer noch zu leise ist, denn wie sich "CMYK" heute Abend atmosphärisch ausbreitet, ist wirklich atemberaubend.
Bei "Overgrown" kommen wieder die Freunde des eingängigeren Songmaterials zu ihrem Vergnügen. Die tiefe Traurigkeit, die man beim Hören von Blakes Songs oftmals in den heimischen Wänden erfährt, bleibt beim Konzert größtenteils außen vor. Das liegt zum Großteil sicher an den glasklaren Sounds bei hoher Lautstärke, aber auch daran, dass die einzelnen Lieder eben dadurch an Erhabenheit gewinnen. Es ist fast so, als wohne man einem religiösen Ereignis bei. Sorry lieber Gott ;-)
James Blake [overgrown] from nabil elderkin on Vimeo.
Mit "Digital Lion" wird der Bass dann wieder körperlich deutlich spürbar. Der Beat ist treibend und die vielschichtigen Vocal-Samples paaren sich mit der Gitarre zu hypnotischen Gebilden. Danach kommen mit "Our Love Comes Back" und dem Joni Mitchell Cover "A Case of You" zwei ruhige Songs zum Luft holen und andächtigem Lauschen.
Nach den beiden, mich live noch mehr an Bon Iver erinnernden, zusammengehörenden Songs "Lindisfarne I" und "Lindisfarne II", kommt endlich der Song ("Limit to your Love"), auf den der Großteil des Publikums gewartet hat, was unschwer daran zu erkennen ist, dass gefühlte 1000 Handys in die Höhe schrecken, um diesen Moment festzuhalten. Gerade in dem Moment muss ich an das Erdmöbel-Konzert letzte Woche denken, weil dort ein ganz anderes Publikum war und ich so gut wie kein gezücktes Handy gesehen habe ;-).
Anschließend zeigt Blake bei "Klavierwerke", einem Stück aus dem Jahre 2010, das sein Musikverständnis etwas anders tickt. Wer bei diesem Titel ganze Pianopassagen erwartet, wird sich nämlich über einen sehr am Deep House gebauten Track mit nur marginalen Pianospuren verwundert die Ohren reiben.
Nach "Voyeur" leidet Blake dann mit "Retrograde", bei dem ich tatsächlich einige Damen schluchzen höre, das Finale ein. "Retrograde" ist auch live der beste Beweis dafür, dass elektronische Musik sich mit Seele/Soul verbinden kann.
Das letzte Lied ist, wie könnte es anders sein, "The Wilhelm Scream". Blake spielt ihn live in leicht abgewandelter Form - der Gitarrist muss ja auch etwas zu tun haben ;-) - aber auch nicht schlechter als das Original. Nach frenetischem Applaus bedankt sich der vornehme Brite artig und verlässt die Bühne, um dann noch einmal zu erscheinen und das Konzert so zu beenden, wie es begonnen hat: singend mit sich selbst ("Measurements"). Und dieses Mal ohne Publikumsgeräusche, weil er vorher das Publikum um Ruhe gebeten hat :-).
SETLIST:
I Never Learnt to Share
To the Last
Life Round Here
Air & Lack Thereof
CMYK
Overgrown
I Am Sold
Digital Lion
Our Love Comes Back
A Case of You (Joni Mitchell Cover)
Lindisfarne I
Lindisfarne II
Limit to Your Love (Feist Cover)
Klavierwerke
Voyeur
Retrograde
The Wilhelm Scream
Encore:
Measurements
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