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Montag, 14. September 2015

THE LIBERTINES / Anthems For Doomed Youth [LP]

Zeit für Helden? Ist es schlau, wenn sich eine Band, die mit nur zwei Alben ("Up the Bracket" [2002] und "The Libertines" [2004]) einen Kultstatus erworben hat, nach mehr als elf Jahren ein neues Album auf den Markt bringt, das genauso klingt als wäre es vor 10 Jahren eingespielt worden?

Schlau ist sicherlich der falsche Ansatz, den die Gefahr das IndieRock-Monument THE LIBERTINES zu zerstören, ist sicher größer als den Status neu zu zementieren. ABER wenn einer die Gefahr nicht scheut, sondern sich leidenschaftlich in dieselbige stürzt, dann wohl niemand mit mehr Intensität als das fleischgewordene Rock 'n' Roll Enfant terrible Pete Doherty.

Wer es schafft die Boulevard-Presse mit Schlagzeilen wie "Einbruch in Schallplattenladen in Regensburg", "Doherty malt mit Blut", "Dohertys Katze auf Crack", "Moss & Doherty ein Paar!"oder  "Mit Spritzbesteck in Flugzeugtoilette erwischt" zu füttern, der schert sich einen Dreck um das, was andere denken, weswegen es unumgänglich ist, dass wenn die beiden Buddys Doherty und sein kongenialer Libertines-Mitstreiter Carl Barât wiederzueinanderfinden, das machen, was ihnen gefällt. Also F*** off ihr Bedenkenträger und hingehört, was die Freigeister Doherty und Barât 2015 erschaffen haben, um den auf der Intensivstation liegenden IndieRock mit göttlichem Atem wiederzubeleben.

Here they go again:

01 "Barbarians": "This one's for your heart and for your mind" ist der erste Satz des Albums. Höher kann man die Latte nicht legen und deswegen kann man auch nicht höher fallen. Die Libertines aber fallen nicht, sondern manövrieren sich souverän wie selten zuvor, ohne zu stolpern oder zu zögern, durch einen perfekten IndieRock-Singalong-Song. Carl am Mic!



02 "Gunga Din": Dem ersten aus dem Album veröffentlichten Song merkt man am deutlichsten an, dass er nicht in irgendeinem Hinterhof-Studio in London, sondern in den Karma Studios in Thailand, wo Doherty nach dem x-ten Drogenentzug weilte als ihn sein Freund Barât besuchte und man einstimmig beschloss die Band wiederzubeleben, entstand. Wie im Rausch - aber mutmaßlich ohne Drogen - spross das neue Album sozusagen unter Palmen und südostasiatischer Sonne. "Gunga Din" gelingt das Kunststückt diese neugewonnen Zuversicht und Lebensfreude trotz melancholischem Unterton bestmöglich einzufangen.


Gunga Din
von The Libertines auf tape.tv.

03 "Fame and Fortune": Ska-trunkener Schunkler über die glorreichen Zeiten der Band in der britischen Haupstadt. Klingt wie "Dr. No" von den Babyshambles - Dohertys Band nach den Libertines - nur nicht ganz so skizzenhaft.



04 "Anthem for Doomed Youth": Pete hat seine Jugend verloren. Er ist jetzt 36 und schaut auf ein wildes Leben voller Irrungen, Wirrungen und schwindelerregenden Höhen zurück. Es ist ein schieres Wunder, dass er noch lebt und wer hat also mehr Recht Zeilen wie  "Life can be so handsome. Life can be okay." zu singen. Es scheint ganz so als hätte Doherty im Schoße Carl Barât seinen Frieden gefunden. Das Erstaunliche und Bewundernswerte daran ist, dass er trotzdem immer noch ganz der alte Pete ist - nur irgendwie sortierter/fokussierter. Carl am Mic!

05 "You’re My Waterloo": Eine intensive, tief traurige Pianoballade, die klingt als läge Doherty beim Singen auf dem roten Sofa seines Therapeuten, um sich alle Last von der Seele zu singen. Würde Frank Sinatra noch leben, bin ich mir sicher, dass er diesen Song covern würde ;-)



06 "Belly of the Beast": Da ist sie die neue Hymne, auf die alle Libertines-Fans gewartet haben. Absolut gleichwertig steht sie zwischen den Manifesten "Time for Heroes" und "Can't stand me now".

07 "Iceman": Dieser Song macht deutlich, was die Libertines ausmachte und auch heute noch ausmacht: Die mit höchstmöglicher Authentizität ausgestatteten Lyrics verbunden mit einem Songwriting, welches die Worte in ein perfektes Soundgewand kleidet.

Sangen die Libertines einst vom wilden selbstzerstörerischem, zügellosen Rock 'n' Roll-Leben, singen sie nun von den Erfahrungen, die sie aus diesem Leben gezogen haben und trauen sich sogar einen moralinsauren elternhaften Satz wie "Don't spend your days in the haze with the iceman. It means nothing at all" zu predigen. Ich wiederhole mich: Wenn es einer darf und kann, dann ...

08 "Heart of the Matter": Typische Uptempo-Nummer mit Dohertys schnodrigem Gesang, fluffigen Tempowechseln und lässigen Fingerübungen für die Gitarre.

09 "Fury of Chonburi": Punk meets BritPop, wie es kaum eine andere Band miteinander verknüpfen kann. Pete und Carl beim Paar-Therapeuten, da wo Mick und Keith schon waren und die Gallagher-Brüder noch hin müssen.

10 "The Milkman’s Horse": Ziermlich perfekter Song, um ein furioses Konzert im Schein von hochgehaltenen Feuerzeugen, mit einem Bier in der einen Hand und den Refrain auf den Lippen zu beenden. Keine Sorge Libertines-Fans zücken keine Handys!

11 "Glasgow Coma Scale Blues": Die dem rifflastigen Song den Titel gebende Skala ( Glasgow Coma Scale ) dient der Klassifizierung von Bewusstseinsstörungen. Die maximale Punktzahl ist 15 und wird einem Patient bei vollem Bewusstsein zugeteilt. Gehen wir davon aus, dass die beiden Helden Doherty und Barât beim Schreiben der Zeilen sich in eben diesem Bestzustand befanden.

Der Text des Liedes bildet die Beiden allerdings im Zustand eines deutlich geringerem Punktezustands ab, denn wie sich Pete und Carl die Schuld an der einstigen Trennung ihrer Band gegenseitig zuweisen, zeigt, dass sie mittlerweile eingesehen haben, welchen Mist sie da fabriziert haben. Dem stimme ich uneingeschränkt zu! Drei wunderbare Alben sind für eine so lange Zeit eine ziemlich magere Ausbeute :-(.

12 "Dead for Love": Was wurde nicht schon alles aus Liebe getan? Ob die Konsequenz gut oder schlecht ist, entscheidet sich erst nach dem oftmals vom logischen Denken losgelösten Handeln und in der Rückbesinnung. So ist der Mensch, und so ist es auch in dieser intensiven mordshungrigen Ballade im Düster-Stil von Nick Cave.

Ich war mir bewusst, dass ich mit sehr hohen Erwartungen an "Anthems For Doomed Youth" herangehen werde, weswegen ich mich Zwang die Platte nicht sofort zu sezieren, sondern ihr und mir einige Tage Zeit zu geben. Aber im Endeffekt ist es wie mit einer Tippabgabe für den Lieblingsfussballverein - man kann das Herz nicht auschalten. Aber warum auch! I'm in Love with a Feeling!

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