Pete(r) uns seine Babyshambles ziehen noch immer! Auf der Parkplatzsuche an der Live Music Hall steigt ein Fahrzeug vor mir voll in die Eisen, so dass auch ich eine Vollbremsung hinlegen muss. Grund?!? Der Fahrer des Wagens vor mir hatte einen Schwarzmarkthändler erblickt und kaufte noch direkt aus dem Wagen heraus begierig die begehrten Tickets für das restlos ausverkaufte Konzert.
Um die Halle herum sind bereits unzählige Ticketjäger auf der Pirsch. Das Publikum ist durchwegs schon älter, Teenager sind eher die Ausnahme, man merkt schon, dass es hier auch um nostalgische Heldenverehrung geht. Allerdings soll mit dieser Aussage keineswegs die Qualität des letzten Albums "Sequel to the Prequel" in Frage gestellt werden, denn Doherty ist und bleibt ein begnadeter Songwriter. Die Frage, ob der seinen Geist und Körper an die Grenzen führende Musiker auch live noch den Ansprüchen genügen kann, werden die nächsten Stunden zeigen.
Los geht es um Punkt 20 Uhr mit der Newcomerin Nessie, einer Singer/Songwriterin aus Hamburg, aber seit längerem in der Hauptstadt lebend, die, wie sie sich selbst mehrfach äußerte, erstmals vor einem so großen Publikum und ebenfalls erstmals mit zwei Begleitmusikern auftritt. Einige der dargebotenen Lieder kann man als klassische Songwritersongs ("Hush Hush") bezeichnen, andere erinnern durch den Einsatz von RNB-Beats (die gerne aber auch etwas fetter sein dürften) an The XX. Letztere Songs gefielen mir deutlich besser, aber ist natürlich Geschmackssache.
Was auf Dauer etwas nervte, war das anfangs noch charmante Plaudern mit dem Publikum. Kommunikation gerne, und wie gesagt Nessie macht das auch sehr ungezwungen und charmant, aber zu viel stört den Fluss eines Konzertes.
Und dann das Wunder! Herr Doherty und seine Mannen steigen bereits um 21:15 Uhr auf die Bühne und legen - der Titel ist Programm - mit „Delivery“ los. Ob er wirklich abliefern kann?
Auf "Delivery" folgt "Nothing comes to Nothing" und die Stimmung steigt, weil Pete zwar nicht hellwach und auch ganz sicher nicht völlig klar ist, aber er scheint in Spiellaune. Bereits bei Song Nummer 2 wirft er den Mikrophonständer von der Bühne ins Publikum und bei Song Nummer 3 "The Man who cames to stay", der deutlich druckvoller gespielt wird als er 2004 als B-Side von "Killamangiro" veröffentlicht wurde, springt der Bekloppte ohne Vorwarnung mit vollem Anlauf ins Publikum. Stagediving auf höchstem Niveau!
Danach ist Pete für einige Minuten im Publikum verschwunden, während die exzellente Band einfach routiniert und cool weiterspielt. Als er wieder zurück auf die Bühne gefunden hat, ist sein Äußeres leicht ramponiert und vor allem sein Hut ist weg! Ziemlich rührend bittet er das Publikum im Laufe des weiteren Konzerts sogar flehentlich, "Gib mir meinen Hut back", aber der dämliche Souvenirjäger lässt sich nicht erweichen und so muss Pete den Rest des Konzerts hutlos seinen Mann stehen. Befürchtungen, dass er deswegen das Konzert abbricht, bewahrheiten sich Gott sei Dank nicht - Glück für den Souvenirjäger, der sonst wohl von der euphorisierten Menge in Stücke gerissen worden wäre.
Weiter geht es mit dem Ska-Schunkler "I wish", der natürlich zu heftigen Bewegungen in den vorderen Reihen führt und aus vielen Kehlen "Oh Oh Oh" erklingen lässt. "Fall from Grace" nimmt die Fahrt wieder etwas raus und Herr Doherty greift zum xten Glas mit roter Flüssigkeit. Es schaut aus wie Tomatensaft und wenn ich den Meister richtig verstanden habe, war es auch welcher. Spekualtionen über weitere Zutaten bleiben jedem Einzelnen überlassen.
Beim zweiten Highlight vom aktuellen Album "Farmer's Daughter" kommt Pete etwas raus, aber die Band fängt ihn sehr schnell wieder ein, so dass es wahrscheinlich nur den Wenigsten aufgefallen ist. Aber bei Doherty ist es sowieso schwer zu sagen, ob er nun gerade bewusst improvisiert oder den Faden verloren hat. Es folgen "Killamangiro" und "Penguins" mit dem wunderbaren Nirvana-Gedächtnisriff und das zum Pogen einladende "Fireman".
Doherty brillliert, zumindest bei diesem Konzert, nicht durch Perfektion, sondern durch seine Leidenschaft, die völlige Hingabe in jedem einzelnen Song, und sein, wenn auch von vielen in Frage gestelltes, Durchhaltevermögen. Man bedenke, trotz seines ausschweifenden Lebenswandels ist es ihm geglückt, dem Club 27 ein Schnippchen zu schlagen und mit jetzt schon 34 Jahren weiter das wilde Rock 'n' Roll-Tier zu geben. Ich bin mir nicht sicher, ob er es schafft, den langen Weg von Keith Richards zu gehen, damit meine ich nicht, dass die Babyshambles auch noch als Großväter die Bühne rocken sollen, aber ich wünsche ihm definitiv ein langes Leben!
"Dr. No" ist, zusammen mit dem leider an diesem Abend nicht gespielten Song "Stranger In My Own Skin", mein Lieblingslied auf der aktuellen Platte und Pete und die Babyshambles spielen ihn zu meinem Entzücken live einfach großartig! Exzellenter Groove!
Keinen Deut schlechter ist der Indiedisco-Knaller "Maybelline" und "Side of the Road" vom 2007er Album rockt sowieso. Jetzt bin ich so euphorisiert und ich hoffe, dass die Babyshambles vielleicht sogar einen Libertines-Song spielen, aber Pustekuchen wir sind hier ja nicht auf einem Wunschkonzert.
Stattdessen erklingt "8 Dead Boys", keiner meiner Favoriten, aber mit "Pipetown" bekomme ich wieder leuchtende Augen. Danach ist der erste Teil des Konzertes gelaufen. Nur 'ne knappe Stunde gespielt, da ist doch noch deutlich Luft nach oben. Klar fordert das Publikum mehr und die Shambles lassen sich auch nicht lange bitten und steigen relativ smooth mit einem weiteren Reggae-Dub-Ska-Schunkler "Stone me" in die Zugabe ein. Nach dem Song diskutiert der Gitarrist eine gefühlte Minute mit Pete, doch dann spielen die Teufelskerle doch tatsächlich eine astreine Coverversion vom "Blitzkrieg Bop" der Ramones! Yes, yes, yes!
Klar, dass danach nur ein Song kommen kann - und er kommt! Was gibt es Schöneres, wenn erwachsene Menschen im Chor "Fuck Forever" gröhlen ;-).
Nachtrag: Es soll übrigens auch Menschen geben, die das Konzert, ich zitiere, "ganz schlimm", fanden ;-).
Mmmmm, ich schwöre, ich war beim Schreiben dieses Konzertberichtes und auch während des Konzertes absolut im Besitz meiner geistigen Kräfte. Die Band war großartig, Pete war Pete und natürlich schaut man bei den Babyshambles auch immer in das abgründige Häßliche, aber wir waren ja auch nicht auf einem Dire Straits-Konzert - zum Glück! Pete Forever!
Ö
Fotografie:
© Stephanie Broch / Concerts and Photography
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The Good = Die Band / The Pete = Peter Doherty / The Ugly= Die Tatsache dass man voyeuristisch einer Selbstzerstörung beiwohnt