Man sieht es am Publikum in der Kantine, der Ruhm der alten Helden aus glorreichen Madchester-Zeiten ist verblasst. Junge hippe Menschen kann man an der Hand abzählen, hier tummeln sich heute Abend Menschen, die "Screamadelica", das Kultalbum der Band aus Manchester aus dem Jahre 1991 verehren, und die sich somit vor mehr als zwanzig (!) Jahren in der vermeintlichen Sturm und Drang-Phase ihres Lebens befanden.
Jammerschade, dass der Ruhm der "Screamadelica" eindeutig gebührt - schließlich war es eines der ersten Alben, das IndieRock und tanzbare Grooves perfekt kombinierte, und somit erst Hippster-Bands wie MGMT ermöglichte - bei den jungen Wilden wohl ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Schade auch, weil das neue Album der Band, "More Light", zurück zu den Wurzeln von Screamadelica geht und durchaus als gelungen bezeichnet werden darf. Vielleicht liegt es ja aber auch nur an der Location, die mit den schrecklichen Ü-Parties und den Was-Weiß-ich-und will-ich-gar-nicht-kennen-Coverbands versucht, in der Vergangenheit verhafteten Musikfreunden ein Podium zu geben, dass dem Konzert schon vor Beginn eine Überdosis Nostalgie anhaftet.
Ohne Vorband und ohne großes Brimborium startet das Konzert gegen 20 Uhr - natürlich mit "2013" vom neuen Album. Bobby trägt ein silbernes Jacket und schaut aus wie eine Mischung aus Windhund, Bryan Ferry und Iggy Pop. Noch immer liebt er die großen pathetischen Gesten und die Kommunikation mit dem Publikum. Klar, Bobby ist kein begnadeter Sänger, aber ein charismatischer Frontmann, der alle Augen auf sich zieht, ist er immer noch, aber man merkt ihm schon an, dass auch er etwas damit hadert, den Zenit überschritten zu haben. Immer wieder, sicher auch wegen des nicht optimalen Sounds in der Kantine, merkt man ihm zu Beginn des Konzertes eine gewisse Unzufriedenheit an.
Die Stimmung im Auditorium steigt abrupt beim ersten Griff in den Back-Katalog. "Jailbird" rockt und groovt und Bobby nimmt Fahrt auf, aber die hohe Lautstärke und die dafür anscheinend nicht wirklich geeignete Anlage in der Kantine führt leider dazu, dass der Sound ziemlich vermatscht. Es folgen Klassiker wie "Burning Wheel" vom 97er Album "Vanishing Point" und die beiden besten Nummern ("Shoot Speed/Kill Light", "Accelerator") aus dem brachialen "XTRMNTR"-Album.
Das Publikum geht mit, aber es kommt nicht zu Ausnahmezuständen wie es bei Primal Scream in der Hochphase gang und gäbe war. "River of Pain", einer meiner Favoriten vom neuen Album, der auf Platte wieder diese Primal Scream typische drogengeschwängerte orientalische Aura entfaltet, wirkt live ziemlich bedächtig - vielleicht zündet sich mein Vordermann deswegen den zweiten Joint an. Ist aber ziemlich passend, denn mit "Walking with the Beats" und "Goodbye Johnny" folgen zwei ruhigere Songs, bei denen Bobby den Dandy-Entertainer gibt.
Das furiose Finale wird eingeläutet mit "It's Alright, It's OK", dem Song vom "More Light", der alles hat, was man an Screamadelica auch heute noch lieben muss: Groove, Rock-Attitüde, eine knackige Hookline und dieses "Come Together"-Feeling der BritRave-Ära. Jetzt ist Bobby in seinem Element! Mit dem technoiden "Swastika Eyes" und dem umjubelten Country-Schunkel-Rocker "Country Girl" wird die Menge euphorisiert und auf das sehnlichst erwartete "Rocks" vorbereitet: "Get your rocks off. Get your rocks off, honey. Shake it now now. Get'em off downtown!". Danach verlässt die Band die Bühne, ohne bisher auch nur einen Song aus Screamadelica gespielt zu haben und es ist klar, was man nun im Zugabenblock erwarten darf.
Alle Erwartungen werden erfüllt, denn mit "Higher Than the Sun", "Loaded" und "Movin' On Up" öffnen Primal Scream ihre Juwelentruhe, die dafür sorgen dürfte, dass die Band evtl. auch noch in weiteren zehn Jahren ihr Publikum findet. Bobby kann also getrost weiterhin "I'm movin' on up now. Gettin' out of the darkness. My light shines on." singen. Und allen Unkenrufen zum Trotz bleibt festzuhalten, dass sogar die Dub-Nummer "Higher than the Sun" live bestens funktionierte! Und ja, die anschließend in der Kantine aufgelegte Musik war wieder ganz ganz schrecklich!
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