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Samstag, 11. November 2017

ROLLING STONE WEEKENDER 2017 - Der Samstag! [A personal Review]

Freitag 3. & Samstag 4.11.2017

DER SAMSTAG! Als Frühaufsteher obliegt es mir und Weekender-Frischling Tommek für Frühstück zu sorgen. Da wir beide noch nicht ganz vollauf sind, müssen wir etwas öfter bei Edeka Jens einfallen, bis wir alles zusammenhaben, was man für ein kräftiges Frühstück benötigt.

Traditionell gibt es die erste Tagesmahlzeit im Apartment unserer Damen, wo die unverwüstliche V. bereits wieder ausschaut, als hätte sie gestern nur heiliges Quellwasser getrunken. Kaffee und Hühnerbrühe stehen bereit, um Kater, Affen und sonstige Tiere zu vertreiben.

Nach dieser körperlichen Stärkung sind ALLE bereit für neue Aufgaben. Erste Pflicht: Strandspaziergang! Das Wetter ist großartig und so drückt sich keiner vor frischer und belebender Seeluft. Ich halte den Spaziergang allerdings etwas kürzer als die anderen Damen- und Herrschaften, denn ich muss ja unbedingt noch Vinyl diggen.

Natürlich werde ich fündig, aber muss erneut feststellen, dass die Preise für das schwarze Gold weiter am Steigen sind. Krassestes Beispiel: Vor einigen Jahren habe ich mir hier für magere fünf Euro "Haiko Ambulanz" von Fink gekauft, heute will der selbe Schallplattendealer dafür 25 Euro.

Gegen 15.30 geht es in Die Bar - oder muss man es englisch aussprechen ;-) - um zumindest eine Halbzeit lang Bundesliga zu schauen. Das scheint sich aber herumgesprochen zu haben, dass man hier Bierchen, Kippchen und Fußball in schummriger Atmosphäre genießen kann, denn es gibt kaum noch Plätze, an denen man Blick auf die Bildschirme hat. Die meisten in unserer Truppe haben nicht nur Musik-, sondern auch Fußballverstand und sympathisieren deswegen natürlich mit den Königsblauen. Lange Zeit lag der Weekender-Fluch über die Königsblauen, wenn am Weekender gespielt wurde, aber letztes Jahr hatte sich das Blatt gewendet - aber ich gestehe, ich und auch der Herr Professor hatten es völlig vergessen, weswegen wir von einer Niederlage in Freiburg ausgingen. Zu unserer großen Freude war dies aber nicht der Fall, auch wenn die erste Halbzeit katastrophal war, aber das schmälert die Freude über den Dreier nicht. In Sachen Köln hüllen wir dieses Jahr den Mantel des Schweigens.

Sobald der Halbzeitpfiff ertönt, gehe ich mit C. die Treppen hoch in den Baltic Saal und mache den Mann an der Garderobe glücklich, indem ich die kürzeste Hängedauer eines Kleidungsstückes in die Weekender-Geschichtsbücher eintrage. Das konnte ich aber beim Abgeben für einen Euro noch nicht wissen, denn eigentlich bin ich ein großer Fan von Tilman Rossmy und seinem Band-Projekt DIE REGIERUNG und das neue, auf Staatsakt veröffentlichte Album "Raus" hat einige starke Stücke. ABER, die Livestimme ist wirklich ziemlich grottig und die ersten beiden Songs haben so gar nichts Aufwühlendes, sondern sind vom Ponyhof-Kaliber. Und dabei spielt hier einer, der mit "Corinna" einen meiner All-Time-Favorites erschaffen hat.



Nach wenigen Minuten sind wir deswegen zurück an der Garderobe und ich erhalte meinen Mantel frisch gereinigt, gestärkt und aufgebügelt zurück - Spaß. Das Lalala-Geschnulze der einst gar nicht schlechten FRISKA VILJOR ist unerträglich, weswegen wir zur Alm pilgern, wo uns unerwarteter Weise ein Fest für die Augen erwartet.

Auf der Bühne steht das Duo KOLARS aus Los Angeles. Beide tragen Glitzerklamotten, Rob Kolar ein Jackett und Lauren Brown ein Kleidchen, welches ihr gerade so über die Taille reicht. Rob spielt Gitarre und singt und Lauren spielt im Stehen mit ihrem ganzen Körper Schlagzeug. Die Musik der beiden ist gefälliger Desert-Glam-Disco-Rock mit eingängigen Melodien, aber noch vor der Musik steht der Entertainement-Faktor, mit dem die beiden oder besser vor allem Lauren die Alm, die innen ja sowieso wie eine Sauna aussieht, in einen Sauna-Club verwandelt. Ja, diese Dame weiß mit ihren weiblichen Reizen zu spielen und hat ganz sicher nichts unter #MeeToo gepostet, denn wenn ihr ein Typ blöde kommt, wird er wahrscheinlich mit Haut und Haaren verschlungen.



Mehr Details? Aber bitte! Schon bevor es eigentlich losgeht, sucht die Lady nach mir nicht bekannten Dingen auf dem Boden und streckt dabei ihre Kehrseite ins Publikum, wobei natürlich das kurze Glitzerkleidchen durch physikalische Naturgesetze nach oben gezogen wird. Ui, ui, ui, wenn das ihre Mutter wüsste! Das kokette Spielchen geht über das ganze Konzert so. Nach jedem Song trocknet sie ihre Drumsticks mit dem Hauch von Stoff ab und provoziert weitere Hochrutscher, was sie während des Schlagzeugspielens mit ihrer Zunge fabriziert darf ich aus Jugendschutzgründen nicht weiter ausführen und bei einigen Songs gibt sie sogar Stepptanzeinlagen. Ob sie schon mal darüber nachgedacht hat beim Spielen eine Banane zu essen?

Fazit: die Kolars sind live ein Fest für die Sinne, das man nicht besuchen sollte, wenn man beschlossen hat, die nächsten zwanzig Jahre in Enthaltsamkeit zu leben. Mir ist auch heute, Tage später, noch ziemlich heiß bei dem Gedanken an den Auftritt.

Dann steht ein Künstler auf dem Programm, dem ich seit seinem selftiteld Debütalbum "Benjamin Booker" sehr verehre, ich aber noch nie das Glück hatte, ihn live zu erleben - im Gegensatz zum treuen Konzertbegleiter C., der mir ständig unter die Nase reibt wie großartig das Konzert in Köln damals war.



Erstaunt stelle ich fest, was für ein braver und extrem junger Bursche dieser Mann mit der Reibeisenstimme ist! Ganz ehrlich, Herr BENJAMIN BOOKER wirkt so sympathisch und liebenswert, dass ich ihm ohne weiteres meine beiden gutaussehenden, gerade erwachsenen Töchter für einen nächtlichen Waldspaziergang anvertrauen würde.

Musikalisch gibt es überhaupt nichts zu bemängeln am Auftritt des Mannes aus New Orleans. Die Stimme klingt genauso perfekt wie aus der Dose und auch die Band bringt die Songs perfekt über die Bühne. Großes Kino! Die Mischung zwischen Bookers erstem, sehr rohem Album und dem zweiten sehr souligen Werk "Witness" gelingt live erstaunlich gut, da muss nichts passend gemacht werden, das Set fließt. Das Einzige, was mich irgendwie stört ist die fast vollständige Abwesenheit von Aggression in Bookers Performance, die speziell bei den Stücken vom Debütalbum so konträr zu den Stücken wirkt. Und wieder seltsam, trotzdem sind "Wicked Water" und das Meisterwerk "Violent Shiver" vom Erstling meine Highlights des bisherigen Abends.



Nächster Act - wieder vom Staatsakt-Label. ISOLATION BERLIN! Bisher live auch immer durch die Lappen gegangen, deswegen Kevin Morby und Andy Shauf, die ich beide sehr schätze, heute leider ohne mich. Und auf der Alm ist es halt am Schönsten!

Die Herren aus Berlin schauen aus, als seien sie die letzten übrig gebliebenen Mitglieder von Ton Steine Scherben, allerdings ohne dass sich das Rad der Zeit seit 1970 weitergedreht hätte. Und natürlich gibt es auch zwischen den linkspolitischen Texten und der Art der Gesangs und auch der Melodieführung Berührungspunkte mit den legendären Scherben - kann man ja auch schlechtere Vorbilder haben.



Blickpunkt auf der Bühne ist eindeutig Sänger und Gitarrist Tobias Bamborschke, der sich als sehr plauderfreudig und charismatisch entpuppt -  jemand auf der Bühne, der den Namen Frontmann wirklich verdient. Das Set schwankt gekonnt zwischen Melancholie und aufrührerischer Wut, was Bamborschke auch stimmlich perfekt hinbekommt, wenn er entweder zart oder brachial die Töne ausstößt - oder sogar auskotzt. Ganz klar, Isolation Berlin macht live richtig Spaß! Berührendster Moment, die greifbare Schwermut beim Song "Isolation Berlin" und stärkster Moment, als beim vehement geforderten "Fahr Weg" ein Energieschub durch Band und Publikum jagt. Nach dem Gig bin ich stimmlich doch sehr angeschlagen, aber ich liebe es einfach, Parolen mit zu grölen. FAHR WEG!

Nächste Station Zeltbühne mit den wiedergeborenen BritRave-Shoegazing-Helden von RIDE. Es ist ja immer so eine Sache, wenn Bands im betagten Alter wieder auf die Bühne steigen, aber das neue Album "Weather Diaries" ist gar nicht von schlechten Eltern und so freue ich mich auf den Auftritt der Briten. Und was ich so höre ist durchaus fett. Die Wall of Sound steht wie früher und auch gesanglich gibt es nichts zu bemängeln. Leider kann ich aber nicht bis zum Schluss bleiben, denn ein guter Facebook-Freund hat mir mal voller Inbrunst von einem Auftritt der Algiers in Berlin vorgeschwärmt, weswegen ich mich schweren Herzens gegen PARADISE und für die Algiers entscheide.



Keine einfache Entscheidung, denn von Madrugada habe ich alle Scheiben in meiner Sammlung und das zweite Album "The Underside of Power" der ALGIERS ist nicht gerade leichte Kost.

Um die Musik der Algiers in Worte zu fassen, bedarf es vieler Genrenennungen: Soul, Rock, Gospel, Punk, Psychedelic, Industrial, Blues und davon noch gefühlt hunderte von Sub-Genres. Was aber mehr über die Band aus Atlanta aussagt ist, dass sie sehr experimentierfreudig ist und dass einen sogar aus der Dose die Energie dieser Band förmlich anspringt.

Ein Grund weswegen das Quartett Musik macht, prangert direkt auf der Startseite der Homepage der Band, "JOIN THE FIGHT BACK" steht da in großen Lettern. Mit Hurray For The Riff Raff und Isolation Berlin sind bisher schon zwei Revoluzzer-Bands meine Lieblinge des diesjährigen Weekenders, aber ich nehme es vorweg, die ALGIERS stellen alles in den Schatten.

Sänger Franklin James Fisher sprüht vor Spielfreude und Energie und zusammen mit Ryan Mahan (Keys, Bass), Lee Tesche (Gitarre) und Ex-Bloc Party-Member Matt Tong setzten die fantastischen Vier das Witthüs in Flammen. Es ist laut, es ist hochenergetisch, es ist mitreißend, es ist ungewöhnlich, es ist faszinierend, es ist politisch, es ist einzigartig! Fisher singt mit Inbrunst, er kniet nieder, er wälzt sich auf der Bühne. Mahan bearbeitet seine Keys wie ein Tier. Tesche benutzt bei einem Song eine zum Perkussioninstrument umgebaute E-Gitarre, deren Hals abgesägt und die Saiten durch Stahlfedern ersetzt sind und Matt Tong, den wahrscheinlich sogar große Bloc Party-Fans kaum wiedererkennen, bearbeitet wuchtig und mit stoischer Ruhe seine Felle. Diese Band will mit der Gewalt eines Tsunamis Gehirne durchpusten! Ab sofort reihe ich mich uneingeschränkt ein in die Anhängerschar dieser Band und leiste große Abbitte, dass ich bisher keine Vinylscheibe dieser großartigen Formation besitze - dieser Makel ist mittlerweile natürlich behoben ;-).



Völlig beseelt, mit erhöhtem Adrenalinspiegel und klingelnden Ohren geht es zum Abschluss des Weekenders ins Zelt, wo die Ska-Veteranen von MADNESS bereits ihr bestes geben.

Früher war ich ein großer Fan der Combo und so manche Nacht wurde mit "Baggy Trousers", "One Step Beyond" ..." und dem Mega-Hit "Our House" durchgetanzt. Heute steht auf der Bühne eine altgewordene Truppe, die es - ganz besonders nach dem Feuerwerk der Algiers - schwer hat, mich zu begeistern. Madness wirken müde und stellenweise gar wie eine Parodie ihrer selbst. Es freut mich zwar die alten Hits wiederzuhören, besonders freut mich die Coververion "Chase The Devil" von Max Romeo, aber vielleicht wäre es doch besser gewesen, Madness anders in Erinnerung zu behalten.



Ich plädiere hiermit an die Weekender-Organisatoren etwas weniger Rentenrückkehrer auf die Bühnen zu holen und auch im Zelt mal frischere Bands zum Zuge kommen zu lassen. Mir ist schon klar, dass für den Ticketverkauf beim gesetzten Publikum des Weekenders die alten Zugpferde benötigt werden, aber versucht doch mal lieber einen durchgängig aktiven Klepper, wie z. B. The Cure ;-), als dicken Fisch zu fangen und dann noch mehr junge Fohlen als dieses Jahr an den Start zu bringen.

Zum Abschluss des Weekenders geht es wieder zum Abtanzen ins Witthüs, wo ich leider nicht wie erhofft die DJane vom letzten Jahr am Turntable sehe, sondern einen Herrn, der mir bisher unbekannt scheint - wobei ich mich wahrlich nicht mehr an alle vergangenen Weekender-Wochenenden erinnern kann ;-). Der DJ macht seine Sache, besser als DJ Flippo-Was-auch-immer gestern und spielt nicht nur 1000mal gehörte Indie-Kracher, sondern gerne auch mal weniger bekannte Stücke. Ich tanze jedenfalls bis hinter mir abgeschlossen wird und schüttle noch immer den Kopf über ein Buchhalter-Paar, dass mich auf der Tanzfläche blöde ankackte und darauf hinwies, dass hier kein Pogo getanzt wird. Sachen gibt es, die gibt es gar nicht! Nur für euch beiden Sesselpupser:



Wäre übrigens auch eine gute Band für den Weekender 2018.

Insgesamt für mich einer der stärkeren Weekender, mit drei herausragenden Konzerten und keinerlei wirklichen Ausfällen - weder in musikalischer, noch in technischer Hinsicht. Ich danke dem Herrn, dass ich nicht auf den Fake mit THE RURAL JURUR hereingefallen bin, denn Kettcar bereitet mir körperliche Qualen. Ich danke dem Sicherheitspersonal, das mir dieses Jahr besonders freundlich vorkam. Ich grüße Veronika von Taxi Lens. Ich danke meinen Mitstreitern, dass ich mich auch jetzt schon auf das nächste Jahr freue. Ich freue mich, dass Tommek ab jetzt fest zu unserer Truppe gehört und ich nehme mir fest vor, im nächsten Jahr endlich mal bei der Verlosung des Strandkonzertes mitzumachen.

Es hat wieder sehr viel Spaß gemacht am Weißenhäuser Strand.

TschÖ
... bis zum nächsten Weekender!


Vielen Dank für die Fotos an Tommek und Michael Nowottny [www.labor-ebertplatz.de]!

ZUM FREITAG


Freitag, 10. November 2017

ROLLING STONE WEEKENDER 2017 - Der Freitag! [A personal Review]

Freitag 3. & Samstag 4.11.2017

DER FREITAG! Zum siebten Mal geht es an den Weissenhäuser Strand zum legendären und natürlich wieder ausverkauften ROLLING STONE WEEKENDER. Waren wir im letzten Jahr nur eine Gruppe von acht Leuten, so ist es in diesem Jahr eine komplette Fußballmannschaft, die sich von Köln auf den Weg in den hohen Norden macht. Den Vergleich sollte man in diesen für die Rheinländer harten Fußballzeiten aber vielleicht lieber bleiben lassen. Kennen eigentlich schon alle das neue Logo der FC?

Mittlerweile funktioniert die Anreise mit der Deutschen Bahn ganz gut, da wir, wie es sich bewährt hat, nicht darauf hoffen, den Anschlusszug in Hamburg zu erreichen, sondern uns direkt von dort mit Taxis Lens ans Festivalgelände bringen lassen. Und natürlich hätten wir auch dieses Jahr wieder den Zug von Hamburg zum Weissenhäuser Strand verpasst - auf die Bahn ist eben Verlass:-)

Gegen 15:30 sind wir an der Anmeldung, wo wir allerdings entsetzt feststellen, dass die Schlange am Bierstand länger ist, als die bei der Bändchen-Abholung. Aber man kennt sich ja aus, weswegen wir erstmal bei Edeka Jens einfallen und amüsiert feststellen, dass wir die beiden vorletzten gekühlten Sixpacks ergattern. Irgendwie kommt der Rolling Stone Weekender aber auch jedes Jahr ganz überraschend um die Ecke.

Etwas ärgerlich wird es dann beim Check-In. Erstens, die 2017er-Bändchen scheinen von einem farbenblinden drogenumnebelten Designer entworfen zu sein - einfach grauenhaft - und man hat für unser eines 4-Bett-Zimmer leider nur einen Schlüssel. Ein Schlüssel für vier Personen. Um es mit der stinksaueren Frau H. zu sagen: "Das geht gar nicht!" So werden wir also gebeten zu warten, bis der Hausmeister im reservierten Zimmer schauen konnte, ob dort vielleicht noch Schlüssel liegengeblieben waren. Waren sie aber natürlich nicht. Nach nerviger Wartezeit sollten wir dann einfach mal unsere Zimmer beziehen und man würde dafür sorgen, dass der Hausmeister dann kommen, das Schloss austauschen und uns vier Schlüssel aushändigen würde. Was tatsächlich auch völlig reibungslos klappte!



Also schnell frischgemacht und ab ins Zelt, um die holländischen Psychedelic-Rocker BIRTH OF JOY als Festivalauftakt zu erleben. Psychedelic ist ja eigentlich mein Ding, aber nicht, wenn er so altbacken und kreativlos daherkommt, wie von diesem Trio. Gääähn, das ist nach einer so langen Anreise - Weckzeit war um 6 Uhr - in etwa so als bekäme man nach einem anstrengenden Marathonlauf ein Altbier aufgetischt. Ich mag beides nicht - Marathon und Altbier - und außerdem hat Sänger Kevin Stunnenberg nicht wirklich eine gute Stimme.

Nächstes Ziel für mich die Alm-Stage, wohingegen sich der größere Teil unserer Truppe allerdings zu Albert Af Ekenstam ins Witthüs aufmacht. Finde beide Acts nicht uninteressant, entscheide mich aber wegen der Location und dem etwas fröhlicheren Sound von Low Roar für die Alm.



LOW ROAR besteht live aus zwei Herren mit sehr hohen, um nicht zu sagen weiblichen Stimmen, aber eigentlich ist es das Solo-Projekt des Kaliforniers Ryan Karazija. Karazija verließ vor sieben Jahren seine sonnige Heimat, um in Island zu leben - manche Sachen muss man nicht verstehen. Die Musik des Sonnenflüchters ist elektronischer DreamPop mit 80er-Jahre-Synthiklängen, die er in Reykjavik auf seinem Laptop gebastelt hat. Die Atmosphäre seiner Songs ist prinzipiell düster, aber ab und an schaut auch mal ein etwas flotterer Beat um die Ecke. Leider haben sich die beiden Musiker auf der Bühne so aufgebaut, dass sie seitlich zum Publikum stehen und sich gegenseitig anschauen. Für meine Standposition rechts von der Bühne ziemlich kacke, weil ich den Mastermind immer nur auf den Rücken schauen darf. Der Auftritt ist okay, aber nicht so gut, dass ich vorzeitig die Biege mache, um im Zelt die Reinkarnation von James Brown alias LEE FIELDS & THE EXPRESSIONS zu sehen.

Lee trägt ein zwei Nummern zu enges blaues Glitzersacko und wird von seinem Gitarristen angekündigt als würde in wenigen Sekunden mit Blitz und Donner Jesus erneut auf die Erde niederfahren. Die visuelle Ähnlichkeit zu Herrn Brown ist wirklich verblüffend und auch einige Gesten und Posen aus Lees Repertoire erinnern stark an den bereits 2006 verstorbenen exzentrischen Godfather of Soul. ABER, hier steht keine Coverband, denn Lee und seine vielköpfige Band schütteln zartschmelzigen Soul mit Zuckermelodien aus dem Ärmel als wäre man im Schlaraffenland. Ich hatte mich schon beim Hausaufgaben machen für den Weekender in seine beiden Scheiben "Faithful Man" und vor allem "Special Night" verliebt, so dass es dem Amerikaner spielend gelingt, mich auf seine Seite zu ziehen.



Mittlerweile ist auch die Splittergruppe vom Albert Af Ekenstam-Konzert im Zelt eingetroffen und schwärmt in höchsten Tönen vom gefühlvollen Auftritt des schwedischen Singer/Songwriters. Mein treuer Konzertbegleiter C. scheint ganz beseelt zu sein und ich vermute, ich hätte wohl doch lieber ins Witthüs gehen sollen. Aber egal, Lee und seine Expressions gefallen allen gut, woran man mal wieder sehen kann, über welch großartigen Musikgeschmack unsere Truppe verfügt ;-). Abschlussbemerkung: Das für das Schlussdrittel des Auftritts von Lee präsentierte rote Glitzersacko ohne T-Shirt darunter, aber mit glitzerndem Goldkreuz auf nackter Brust, war sicherlich Geschmackssache. Prof. R. aus unserer Truppe überlegt allerdings noch immer, ob er mit einem solchen Outfit vielleicht die Studenten in seinen Vorlesungen noch mehr in den Bann ziehen könnte.

Der nächste Slot im Timetable ist eine Zumutung! Hurray for the Riff Raff gegen The Dead South gegen Jochen Distelmeyer! Liebe Weekender-Organisatoren, dafür hätte man euch früher mit dem Rohrstöckchen auf die Finger gegeben! Ich wäge ab. Jochen schon mehrfach gesehen, also Hurray oder Dead South? Noch eine Fehlentscheidung zu so früher Stunde würde mich mental in ein großes Dilemma stürzen. Ich entscheide mich ... für HURRAY FOR THE RIFF RAFF, deren beide großartigen Alben schön längst Bewohner meiner geliebten Vinylsammlung sind.



Das Witthüs ist gut voll und damit es richtig voll wird - wie es der Band aus Puerto Rico/USA gebührt - nörgele ich eine Gruppe Damen an, die jetzt doch tatsächlich was nebenan essen wollen. Die Damen folgen natürlich meinem charmanten Aufruf und sparen so Kalorien für den späteren Abend auf. Ja, jeden Tag eine gute Tat!

Dass ich dieses Mal mit meiner Wahl richtig liege, wird vom ersten Moment an klar. Sängerin Alynda Segra hat eine ausgeprägte Bühnenpräsenz, eine hervorragende Livestimme und die Fähigkeit Rebellionen zu starten! In den Texten der in Amerika lebenden, aber aus Puerto Rico stammenden Künstlerin, wird Tacheles geredet. Soziale Ungerechtigkeiten werden an den Pranger gestellt, Rassismus aufgedeckt und Mut zum Widerstand als Pflicht ausgerufen. Wow, diese Lady hat wirklich Feuer, was wirklich nicht an ihrem kurzen knallroten Minirock liegt! Der Herr Professor und ich sind jedenfalls hin und weg von diesem feurigen Auftritt, der darin gipfelt, dass die Band als Zugabe Bruce Springsteens "Dancing in the Dark" covert und ich, obwohl ich diesen Herrn eher weniger mag, lauthals mitsinge!

Für Wissbegierige: "Pa'lante" ist eine Wortschöpfung aus den beiden spanischen Wörtern "para" und "adelante" und bedeutet "Vorwärts!" im Sinne vom italienischen "Forza!", also als Anfeuerungsaufruf. Wieder etwas gelernt, verehrte Herrschaften!



Schnell am Grillstand noch ein Nackensteak mitnehmen (gibt es im hohen Norden eigentlich keinen ordentlichen Bäcker oder ist die Gewinnmarge sonst zu mickrig) und anstellen am Witthüs für CAMERON AVERY. Der Australier brachte in diesem Jahr sein erstes Soloalbum unter seinem eigenen Namen heraus "Ripe Dreams, Pipe Dreams", hat aber vorher bereits als Bassist von Tame Impala, als Schlagzeuger von Pond und mit seinen ersten Frontmann-Projekt The Growl im Rockzirkus mitgespielt. Auf seinem ersten Album gibt Cameron den Crooner in einer Mischung aus Father John Misty und Frank Sinatra.

Gutaussehener Knabe, dieser Herr Avery, der im schwarzen stylischen Anzug seinen Gig absolviert. Tolle kraftvolle Stimme, aber irgendwie scheint er noch nicht genau zu wissen, in welche musikalische Richtung er gehen möchte. Wenn er den Crooner geben möchte, muss er seine Liveauftritte mit etwas mehr Theatralik füttern und wenn er in die Singer/Songwriter-Schiene möchte, muss er noch etwas am Songwriting feilen und die Intensität erhöhen. Aber trotz der Unentschlossenheit des Künstlers ein insgesamt feines Konzert mit den beiden herausragenden Songs "Watch Me Take It Away" und "C'est Toi" - auch wenn er den Namen der einstigen Angebeteten nicht verraten hat.



Den Schlusspunkt am Freitag setzt der immer gutgelaunte und deswegen vom Professor wenig gelittene GLEN HANSARD. Den Iren habe ich zuletzt 2015 in Köln live gesehen und es war damals wirklich ein großartiges Konzert. Heute hat es Glen etwas schwerer, denn man merkt schon, dass hier nicht alle auf seiner Seite sind, aber trotzdem lässt sich Hansard den Spaß am Musik machen nicht nehmen und liefert einen exzellenten, wenn auch deutlich weniger mit Emotionen behafteten Auftritt ab als damals in Köln.



Mittlerweile zähle ich zu den Gebrüdern Plattfuß, aber das hält mich und meine Reisegruppe natürlich nicht ab, zum Abschluss des Tages zur After-Show-Party ins Witthüs zu pilgern. Leider ist die Beschallung wie im letzten Jahr, d. h. die Boxen sind nicht wirklich auf die Tanzenden gerichtet, so dass leider die Klangqualität und Lautstärke beim Abtanzen etwas verloren geht.

Wie immer ist die Bude rappelvoll und der DJ mit dem seltsam peinlichen Namen spielt Indie-Hit an Indie-Hit. Das Tanzbein zuckt in der INDIE-DISCO, aber leider hat der Mann, der uns zum Tanzen bringen soll noch immer keinen Flow, will sagen, er schafft es einfach meistens nicht, Übergänge hinzubekommen, ohne dass es dem Zuhörer wehtut. Als dann mein treuer Konzertbegleiter C. auch noch bei "Don't Stop Me Know" von Queen vor guter Laune schier platzt und er den Dancefloor zu seinem Wohnzimmer macht, gebe ich auf und begebe mich gegen 2:30 Uhr in Richtung Bettenhausen. Tomorrow is just another day!

TschÖ
ZUM SAMSTAG!

Vielen Dank für die Fotos an Tommek + Michael Nowottny [www.labor-ebertplatz.de]!


Mittwoch, 8. November 2017

MALA RUCKUS Made My Day! Beast Of Our Babylon!



 

MALA RUCKUS
Homepage: https://www.malaruckus.com/
From: China / At the moment residing in Praque (Czech Republic)

 
Eine Indie-Band aus China ist mir bisher noch nicht untergekommen - ist bestimmt nicht leicht in der Volksrepublik Musik dieser Art zu machen, oder? Das Quintett macht harmonischen IndieFolk der perfekt zur Jahreszeit passt, in der man hinter beschlagenen Fenstern vom Baum fallenden Blättern hinterherschauen kann und sehnsuchtsvoll an den zurückliegenden Sommer denkt. Dabei sollte man aber beim Versinken in den getragenen Streichersätzen und Montyros sanfter Stimme - die mich stark an das Fatherland-Album von Kele Okereke erinnert - nicht vergessen auch ein Ohr auf die poetischen Lyrics zu haben:

"Today a son’s born in an Ikea manger
And although he’s a stranger, you know him too well
Because he was born a killer, an apple eatin’ sinner
And to this overwhelming potluck he brings a platter of hell
"

Mala Ruckus sind
Alex Montyro (Vocals, Guitar, Harmonica), Francis Carlisle (Keyboard, Vocals, Synthesizer), Ian James (Bass, Vocals), Caolon O'Neill Forde (Guitar, Mandolin) und Sean Rollins (Drums, Percussion). Die Fünf arbeiten zurzeit an ihrem Debütalbum und kommen im Sommer auch auf eine kleine Deutschlandtour. MADE MY DAY!