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Freitag, 25. November 2016

THE LEMON TWIGS live im Arttheater in Köln

Location: Arttheater, Köln
Date: 22.11.2016

 

Ach, in Köln ist es manchmal schon wirklich frustrierend, dass großartige neue Bands nicht den verdienten Publikumandrang erfahren. Auch den beiden New Yorker Brüder Brian und Michael D’Addario, alias THE LEMON TWIGS, bleibt es verwehrt, ihr Konzert im Kölner Arttheater vor verkauftem Haus zu absolvieren, so wie sie es mit dem fantastischen Debütalbum "Do Hollywood" eigentlich verdient hätten.

Stattdessen tummeln sich am Ort des Geschehens, bei zugegebenem beschissenem Wetter, nur wenige Menschen - zum Konzertbeginn ist dann etwa der halbe Saal gefüllt - mit exquisitem Musikgeschmack. Aber vielleicht sind es ja auch nur die Umstände, weswegen der Laden nicht aus allen Nähten platzt? Wir sind heute ja auch nur mit vier Mann, Entschuldigung drei Mann und eine Frau, am Start. Egal, das Becks schmeckt auch im Regen und die Vorfreude auf das Brüderpaar ist riesig.

Über den Support verliere ich an dieser Stelle lieber kein Wort, weil M., der weibliche Part von M&M mich sonst schimpft, weil sie den Typ mit der Gitarre irgendwie ganz niedlich fand. Ach, ich sag es doch, ich fand ihn grauenhaft! Und mein treuer Konzertbegleiter C. ist bei diesem Urteil ganz bei mir.

Aber bereits mit dem Entern der Bühne durch die Bekloppten aus Long Island sind meine Bad Vibrations verschwunden. Neben Brian, der sich in Front positioniert und Michael, der sich hinter das Schlagzeug setzt, betreten ein schwarzer Keyborder mit nacktem Oberkörper und an der Schulter umgebundener roter Kuscheldecke, Superman lässt grüssen, sowie eine Bassistin, die meine Tochter sein könnte, die Bühne.

Die beiden noch Unbekannten zappeln wild im Scheinwerferlicht herum während Michael sich schon mal mit dem Bearbeiten seiner Felle beschäftigt und Brian die Bühne den Mitmusikern überkässt. Das ganze wirkt wie aus einem surrealistischen Werbe-Clip für die in den 70er in Deutschland sehr bekannte Trimm-dich-Bewegung, denn auch die Klamotten, welche die Herren tragen, passen voll in dieses Zeitfenster, sind aber nicht ganz so ausdrucksstark wie die quietschenden Plastikklamotten, welche die Band in ihren Videos und bei Fernsehauftritten trägt. Nein, die Kleidung der Bassistin, Megan Zeankowksi, nicht, denn Bassisten sind ja sowieso immer etwas anders, was in diesem Falle bedeutet, sie schaut am Normalsten aus ;-).

Nach diesem Auftaktgeplänkel und einigen Kommandos an den Mann, der für den Ton zuständig ist, geht die Post ab. Die Show beginnt mit "I Wanna Prove To You".

Wer aufgrund der späten Geburt oder widriger unzulänglicher Lebensplanung nie Bowie, Queen, The Beatles, T. Rexdie Ramones, Supertramp oder The Who live gesehen hat, der hat heute Abend die Chance, einen wilden Ritt durch die Rock und Pop-Geschichte zu erleben, denn die beiden Brüder bedienen sich aus der Pop-Historie wie antiautoritär erzogene Kinder in einem Süßwarenladen. Die Bühnenpräsenz der beiden ist für ihr Alter (17 und 19 Jahre) schier unglaublich und auch Keyboarder Danny Ayala, der mich übrigens sehr an den jungen Muhammad Ali erinnert, weiß, wie man auf der Stage agieren muss, um das Publikum zu begeistern.

Im ersten Drittel betätigt sich Brian als Frontman und Gitarrist, seine Show ist nicht ganz so expressiv wie die von Bruder Michael, der, als er den Frontmann gibt, das bisher schon großartige Konzert noch einmal einen Level höher schraubt. Michaels Gesang ist weniger sauber wie der von Brian und bricht stellenweise weg, aber das passt hervorragend zu den Kompositionen, die sich ja auch ständig überschlagen und aus den gewohnten Songstrukturen ausbrechen und verleiht dem Glamour Boy eine Prise Dirtyness, die ihm meines Erachtens sehr gut steht. Außerdem zeigt Michael immer wieder während des Gitarrespielens einen schnellen Kicktritt gegen Himmel. Warum? Weil der Knabe nicht weiß wohin mit seiner überbrodelnden Energie und weil es ziemlich geil ausschaut! Für die Faktensammlung heißt das: Michael ist eine Rampensau und der bessere Schlagzeuger. Brian hat die bessere Stimme und kann wunderbar Balladen am Keyboard zum Besten geben. Das Songwriting teilen sich die beiden übrigens brüderlich.

Neben den vom Debütalbum bekannten Songs wie "Baby, Baby", "How Lucky Am I?" und "These Words" spielt die Band auch zwei neue Songs, die wohl im nächsten Jahr auf einer EP erscheinen sollen. Einer der Songs, der "Night Song" kommt beim Publikum dermaßen gut an, dass selbst M., der männliche Part von M&M, nicht an sich halten kann und die Jungs lautstark auffordert den Song einfach direkt noch mal zu spielen. Was die Band aber natürlich nicht tut, was wiederum nicht schlimm ist, denn wichtig ist nur, dass sie spielen und spielen und spielen ;-).



Der auch auf Platte schon gewaltig herausragende Ohrwurm "As Long As we’re Together" wird live zu einem richtigen Giganten! Kann man Popsongs besser schreiben, besser arrangieren und besser live spielen? Die musikalische Kompetenz strömt den beiden Tausendsasa wirklich aus jeder Pore! Ist aber auch kein Wunder, der Vater ist Songwriter und die beiden haben bereits mit fünf Jahren begonnen Schlagzeug zu spielen und sich dann mit Gitarre, Bass und Keyboard verlustiert.

Wer immer noch nicht kapiert hat, was ihm an diesem Abend durch die Lappen gegangen ist, dem darf ich die Schamesröte noch etwas mehr ins Gesicht treiben, wenn ich erzähle, dass die Lemon Twigs sich erstmals live an die Geheimtippnummer auf  "Do Hollywood", "A Great Snake", gewagt haben, dass es ein grandioses Stones-Cover gab, das zu einem perfekten Lemon Twigs-Song mutierte und dass die Band im Zugabenblock den Beatles-Hit "I Want To Hold Your Hand" spielte - in der deutschen Version (""Komm gib mir deine Hand")!

Ein wunderbarer Abend mit einer Band, die im geordneten Chaos hochkonzentriert, immer sympathisch und überallemaßen charmant die Bühne bespielt wie Boris Becker einst sein Wohnzimmer in Wimbledon. Nach dem Konzert meinte eine sehr nette Dame, dass sie heute einen richtigen Scheißtag hatte, aber mit diesem Ende einfach alles zu ertragen sei. Da hat sie recht und weil mein Tag heute auch kein Highlight war, rotiert soeben schon wieder "Do Hollywood" auf meinem Dreher. Wehmütig schaue ich auf das Cover und das Autogramm von Brian & Michael und frage mich, ob wenigstens Berlin vor ausverkaufter Kulisse stattgefunden hat.

Ö


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