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Freitag, 29. August 2014

BLUMFELD zurück auf der Bühne [Live in der Live Music Hall in Cologne / 27.08.2014]

Natürlich hatte ich Bedenken! Und natürlich sind Konzerte von längst im Ruhestand befindlichen Band an sich ein Graus. Trotzdem war die Versuchung zu groß, 20 Jahre nach "L’etat et moi", die Wiederkehr der Oberlehrer der Hamburger Schule live zu erleben.

Was würde mich erwarten? Würden Distelmeyer, Rattay und Bohlken wieder als Band funktionieren? Kann man im fortgeschrittenen Alter noch mit Wut im Bauch referieren, kann man das mit über 20 Jahre alten Texten? Vom "Apfelmann" zurück zum "Jet Set"? Wird es Zugaben geben, vielleicht sogar vom noch besseren Album "Ich-Maschine"? Aber doch zumindest von "Old Nobody"?

19:30 am Ort des Geschehens. Das Publikum ist, ... nennen wir es mal reifer. Als Dresscode scheint schwarz, oder zumindest dunkel ausgegeben. Männer sind deutlich in der Überzahl.

Gegen 20 Uhr betreten wir die Halle. Das Konzert ist im Gegensatz zu Hamburg, klar Heimspiel, und Berlin, klar Hauptstadt, nicht ausverkauft, aber doch sehr gut gefüllt. Von einer Vorband war im voraus nichts zu ermitteln, also wird es wohl auch keine geben, was die vorrückenden Zeiger mit jeder Minute unterstreichen.


Gegen 20:30 wird das Licht gedämpft. Angespannte Ruhe herrscht im Auditorium bis der Helikopter ertönt, der auch auf der Platte "L’etat et moi" den Anfang bestimmt. Natürlich folgt dann "Draußen auf Kaution". Bei den ersten Songs merkt man der Band an, dass sie nervös ist, zweifelsohne haben sie die Songs drauf und man merkt vor allem Jochen die Spielfreude an, aber man merkt auch, dass sie selbst nicht ganz sicher sind, auf was sie sich mit der Wiederkehr auf der Bühne eingelassen haben.

Dementsprechend gibt es bei den ersten Liedern keine Überraschung, keine neuen Variationen oder Interpretationen, sondern die ersten vier Songs wie von der legendären Platte. Highlight in diesem ersten Block ist "Jet Set", fast auf Knopfdruck sind die Texte in meinem Kopf wieder parat. Ich erinnere mich an das Blumfeld-Konzert vor gefühlten hundert Jahren (um die Jahrhundertwende) im Stollwerk. Jochen war ein eher schüchterner Frontmann, charismatisch, aber alles andere als eine Rampensau. Mir fällt sogar der Name des damaligen Supports ein: Svevo! Was ist eigentlich aus denen geworden. Erinnert sich jemand an den famosen Titel "Sie wollte eigentlich einfach sagen komm wir ficken."? Ich schweife ab, aber so ist das, wenn man sich nach ewigen Zeiten auf einem Klassentreffen wiedersieht.

Jochen scheint das gleiche Gefühl zu haben, denn nach den ersten Songs, Jochen endlich verschwitzt und mit nassem Haar, meint er man könne die Klassenhefte jetzt weglegen und einfach loslassen, das Konzert genießen und Spaß haben. Das klappt bei mir anfangs nur bedingt, zu viel bedeuten mir die einzelnen Lieder, zu viel Kopfkino in meiner Denkfabrik.

Bei einigen alten Songs (z. B.  "Aus den Kriegstagebüchern" von "Ich-Maschine") verpacken Blumfeld nun die Texte in ein überarbeitetes musikalisches Gewand. Erstaunlicherweise kann ich damit leben, es beweist, dass sich die Band Gedanken gemacht hat, ob man einen Song wie früher spielen oder aber der Zeit Tribut zollen soll. Lediglich mit der "neuen" Version von "Zeittotschläger" kann ich mich nicht wirklich anfreunden, Jochen singt zu viel, Schlenker in der Stimme, zu viel Theatralik, zu viel Blumfeld der späten Jahre. Hier passt die Anpassung nicht, "Zeittotschläger" gefällt mir geradlinig deutlich besser.



Meine Blumfeld-Lieblinge, natürlich vom Debüt-Album, "Ghettowelt" und "Von der Unmöglichkeit "Nein" zu sagen, ohne sich umzubringen", kommen im ersten Zugabenblock. Very fein, wie es bei uns ganz in Ja,Panik-Manier heißt, wenn man mit etwas rundum zufrieden ist. Anschließend spielt das durch einen Gitarristen verstärkte Trio den Bonus-Track "Einfach so" von Jochens Solo-Platte "Heavy". Passt gut rein und "Wohin mit dem Hass?" wäre auch noch fein gewesen.

Einen Rasierklingenritt betreibt Jochen mit seinen Ansagen an das Publikum. Er bedankt sich 1000 Mal, dass wir gekommen sind. 99 Mal zu viel. Er versprüht so viel gute Laune, dass man Angst hat, es kommt gleich der "Apfelmann" (später rufen einige Aberwitzige sogar nach dem Song - ich hoffe ironischerweise) und er übertreibt es mit der Anbiederung an Kölle ("Ich binne ne Kölsche Jung, watt willste mache?" - ich hoffe auch hier war Ironie im Spiel). Irgendwie habe ich das Gefühl, er tut dies aus Unsicherheit, weil er er ja selber noch nicht weiß, wie dieses Reunion-Konzert vom Publikum aufgenommen wird.

Und ich fürchte nicht zu unrecht, denn im Publikum sind sehr unterschiedliche Verhaltensmuster auszumachen. Es gibt nachdenkliche, es gibt welche, die jede Textzeile mitsingen und es gibt Menschen, die sich benehmen als wären sich auf einer Karnevalparty. Mir steht das Grauen im Gesicht geschrieben als eine Dame vor mir zum, natürlich letzten Song des Abends, "Verstärker" mit in die Luft greifenden Händen tänzelt als wäre es eine Kool & the Gang-Nummer.



Es hat etwas gedauert, ganz wie bei einem Klassentreffen nach 20 Jahren, aber mit zunehmender Konzertdauer war ich wieder ganz bei Blumfeld und jetzt einen Tag später, wo ich diese Zeilen tippe, bin ich froh, dort gewesen zu sein und auf dem Turntable dreht sich gerade knisternd die "Ich-Maschine":

"Gebt mir meine Dosis von dem, was mir zusteht,
den Rest, ich hab schon bezahlt für meine Dosis - gebt sie mir jetzt.
Meine Endomorphinproduktion hat alles verlernt
da hilft auch kein Erinnern mehr.
Solang ich denken kann war alles, was ich bekam, meine Dosis.
"

[Blumfeld / "Dosis" vom Album "Ich-Maschine" (1992)]


Noch Wissenswertes:
- Jochen raucht weniger! Erst bei den Zugaben hängt ein Glimmstengel zwischen seinen Lippen.
- Blumfeld integriert fremdes Songmaterial (The Beatles, Antônio Carlos Jobim, Prefab Spout und Cole Porter) in einige Stücke - macht er aber nicht zum ersten Mal.

Mittwoch, 27. August 2014

NEW SONGS Vol. 61: ANDREW JACKSON JIHAD ... LEONIDEN ... PHOX ... SCHULTZ AND FOREVER

ANDREW JACKSON JIHAD / Temple Grandin ... LEONIDEN / Storm ... PHOX / Slow Motion ... SCHULTZ AND FOREVER / Sylvia

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ANDREW JACKSON JIHAD / Temple Grandin


Ein wunderbar überdrehtes Video zu einem feinen hyperaktiven Folksong hat die Band mit dem seltsamen Namen ANDREW JACKSON JIHAD da abgeliefert. Seit 2004 arbeitet das Quintett aus Phoenix daran zu beweisen, dass Folk nicht zwangsläufig eine ruhige und bedächtige Angelegenheit sein muss. Wie das funktioniert? Ganz einfach, in dem die Herren ihren Folk mit schrägen Sounds, bissigen Texten und einer gesunde Portion Punk anreichern.

Wer sehen will, ob die Band live das hält, was sie im Clip zu "Temple Grandin" verspricht, der hat im Oktober in Deutschland in folgenden Städten die Gelegenheit dazu:

09.10. Münster – Lorenz
14.10. Berlin – Privat Club
16.10. Stuttgart – Zwölfzehn
19.10. Freiburg – White Rabbit
20.10. Köln – Underground



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LEONIDEN / Storm

Wie klingt wohl eine Band, die sich nach einem Meteorstrom benennt? Spacig? Mit ordentlich Karacho, also schnell und laut? Also schnell auf jeden Fall. Der Frickelsound erinnert an Alt-J, das Tempo ist aber eben deutlich höher und die Melodieführung lässt an die Foals denken.

Die erste EP "Invert India" erschien bereits im Juni 2014, aber bisher hat es irgendwie leider noch keiner gemerkt, wie gut die 5 Songs darauf sind. Neben "Storm" gefällt mir von den LEONIDEN besonders das extrem groovige "City" (Geiler Bass!), der funky Stomper "Constant", das hymnische "Offshore" und natürlich das rhythmische Feuerwerk von "STRGGL" - Upps sind ja alle Songs der EP ;-)

Für Faktensammler: Nix - aber ein schönes Statement auf dem Plattenlabel der Band.




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PHOX / Slow Motion

Lange habe ich schon nicht mehr so elegante Harmoniebögen gehört, wie sie die siebenköpfige Band PHOX auf ihrem Debüt-Album gleich en gros offeriert. Alle Phox-Bandmitglieder sind Freunde und stammen aus der Kleinstadt Baraboo im US-Bundesstaat Wisconsin und machen schwebenden IndieFolkPop.

Die Musik der Band ist sehr zurückgenommen und wird seltsamerweise gerade durch diese Unaufdringlichkeit zum Hinhörer. Sängerin Monica Martin hat dieses unterschwellig erotische in der Stimme, fast so wie Sade Adu, die mit ihren Platten sicher dafür gesorgt hat, dass es mehr Menschen auf der Welt gibt. Und ja, auch die LP von Phox eignet sich sicher dazu, Reproduktionsprozesse in Gang zu setzen. Make Love ...

Sängerin Monica definiert ihre Art von Musik übrigens so:

"Dust pop. Lethargic pop. Depressing pop. Nap pop. Nap metal. Because if you’re napping and you want to play metal, it’s mostly just orchestral, art, dust-pop. Cereal. If you like cereal, you’ll like PHOX."

Read more: http://host.madison.com/entertainment/music/crazy-like-a-phox-buzzed-about-band-goes-from-baraboo/








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SCHULTZ AND FOREVER / Sylvia

Laut Pressemitteilung werkelte Jonathan Schultz im zarten Alter von 17 Jahren in den heimischen Räumen an seltsamen Aufnahmen. Irgendwie drangen die Klänge wohl nach außen, denn zwei Jahre später bastelt der dänische Songwriter an seiner ersten EP, die nun Mitte Oktober erscheinen soll.

Nach der ersten Veröffentlichung "P.O.V." erschien nun die Single "Sylvia" und wie der Erstling ist auch "Sylvia" auf keinen Fall ein Sound für radioverhöhnte Ohren! Diese Musik ist etwas für verschrobene Pollunderträger, Menschen mit nerdigen Brillen und sonstigen seltsame Lebensformen, die auf äußerst verquerten psychedlischen FolkPop stehen. I Love SCHULTZ AND FOREVER!





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Freitag, 22. August 2014

NEW SONGS Vol. 60: BENJAMIN BOOKER ... PHILIP SELWAY ... HONEYBLOOD ... BROKEN WITT REBELS

BENJAMIN BOOKER / Have you seen my Son? ... PHILIP SELWAY / Coming up for Air ... HONEYBLOOD / Honeyblood (LP) ... BROKEN WITT REBELS / Shake me Down

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BENJAMIN BOOKER / Have you seen my son?


Ein 24-jähriger Amerikaner mit einer außergewöhnlichen Soulstimme ist dieser BENJAMIN BOOKER, der mit seinem gleichnamigen Debüt-Album gerade fulminat in der gesamten Fachpresse für Aufsehen sorgt. Ursprünglich dem Punk zugetan, weitete sich sein musikalisches Interesse nach einem Umzug nach New Orleans und so kann man auf seinem Erstling nun neben Punk sehr deutlich Blues und Folk, aber auch jede Menge Soul ausmachen.

"Have you seen my son?" ist astreiner PunkBlues, der nicht lange anklopft, sondern direkt die Tür eintritt. Aber auf dem empfehlenswerten Album sind noch einige weitere Schätze zu entdecken. Anspieltipps: "Wicked Water", ein wundervoll ruppiger BluesRock und "Kids never growing older", eine BluesSoul-Ballade mit temporären brachialen Punk-Eruptionen.


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PHILIP SELWAY / Coming up for air

Na klingelts bei dem Namen? Radiohead-Fans werden wahrscheinlich nicht lange grübeln, bearbeitet PHILIP SELWAY doch die Drums ihrer Lieblingsband. Bereits 2010 brach Selway aus dem Bandgefüge aus und veröffentlichte das leider viel zu wenig beachtete Album "Familial" und ein Jahr später die EP "Running Blind" heraus.

Am 6ten Oktober erscheint nun das zweite Longplayer "Weatherhouse". Mit "Coming up for Air" ist der erste Vorbote ein düsterer Track, durchaus in der Tradition von Radioheads letzten Werken, mit tiefen Beats und kleinen elektronischen Feinheiten.

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HONEYBLOOD / Honeyblood (LP)

Bei den beiden Damen Stina Tweeddale und Shona McVicar, alias HONEYBLOOD, geht es mir wie mit guten alten Bekannten, die man nach ewiger Zeit wiedersieht und sofort wieder auf einer Wellenlänge liegt.

Das liegt daran, dass die Ladies aus Glasgow in ihrem Album "Honeyblood" alles reinpacken, was mir in den 80er Jahren heilig war: Vorneweg Mazzy Star, natürlich The Jesus and Mary Chain und The Vaselines, aber auch Echo & the Bunnymen oder The Darling Buds.

Wahrscheinlich sprießen mir beim dritten Albumdurchlauf wieder Pickel auf der Stirn! Egal, das Konzert am 1. Oktober im BlueShell ist auf jeden Fall schon mal vorgemerkt. Gibt es eigentlich noch diese Bondage-Zip-Hosen????





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BROKEN WITT REBELS / Shake me Down

Auf der Suche nach einem adäquaten Nachfolger für die letzte richtig geile Soul meets SouthernRock-Nummer "Hold on" von den Alabama Shakes? Immer noch voller Hoffnung, dass die Kings of Leon dem Stadion wieder abschwören und zurück zu den Wurzeln kehren?

Das Quartett BROKEN WITT REBELS aus Birmingham dürfte dann ein richtig heißer Tipp sein. Sänger Danny Core klingt wie Caleb von den KOL, vermag aber noch eine Spur mehr Soul in sein Organ zu packen und der Opener "Shake me Down" von der 5-Track-EP "Howlin" ist genauso catchy wie eingangs erwähntes "Hold on" von den Alabama Shakes.

Der zweite Song der EP, "Queen Bee", rockt mehr als er groovt, geht aber auch direkt ins Ohr. "Bottom of the Hill" ist BluesRock und lässt als Referenz an die Black Keys denken. "Cloud my Day" lässt die Gitarren sprechen und variiert fein mit laut und leise und zum Schluss kommt mit "Howlin'" eine Mitstampf-Nummer, die alle angesprochenen Genres (Blues, Rock und Soul) wunderbar miteinander verknüpft.


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Dienstag, 19. August 2014

CONOR OBERST live im Gloria / JA, Panik auf dem Gamescom-Festival [Cologne, 17.08.2014]

Die Akkus frisch geladen. Am Morgen aus dem Urlaub zurückgekommen und als krönender Abschluss der schönsten Zeit des Jahres sollte dann das Konzert von CONOR OBERST im Gloria dienen. Also fix die Koffer ausgepackt, über das beschissene Wetter in Deutschland geschimpft und eine SMS an meinen treuen Konzertbegleiter C. geschrieben, wann wir uns für das Konzert treffen.

Daraufhin erreicht mich eine Textnachricht mit den Worten "Können doch, wenn es nicht regnet den Anfang von  JA, PANIK schauen ... beginnen um 19:10". Ich: "Wie Ja, Panik?" C: "Gamescom Festival am Ring :-)"

Kann ein Wiedereinstieg in den Alltag besser verlaufen?????

Also doch keine Mütze Schlaf mehr gefangen, sondern frühzeitig auf die Socken gemacht, um am Ring noch vor dem Konzert von Conor den geliebten Wienern zu lauschen. Als wir an der Bühne am Hohenzollernring eintreffen, spielen gerade YOUNG REBEL SET. Not really my kind of Shit. Die meisten Songs sind einfach gestrickte Country-Rock-Nummern, schlimmstenfalls mit Mitschunkel-Faktor. Aber das Set der Briten ist für umsonst schon in Ordnung, nach den zuckersüßen Mojitos im Urlaub kann ich mich wieder an das Kölsch gewöhnen und mit ein paar wenigen Songs, z. B. "If I was" und "Lions Mouth" kann ich mich sogar anfreunden.

JA, PANIK betreten gegen 19 Uhr ganz in schwarz gekleidet die Bühne für den Soundcheck. Ist ziemlich ungewohnt, die Band bei hellem Tageslicht, umgeben von Familien und Teenagern zu sehen. Für mich ist das Gebäude 9 die bestmögliche natürliche Umgebung für Spechtl und seine Mannen - "Mannen" kann man eigentlich nicht mehr benutzen, denn schon die gesamte Libertatia-Tour begleitet Keyborderin Laura Landergott die Band.

Aber bevor Ja, Panik loslegen können, wird es peinlich. Eine hyper-gutgelaunte blonde Moderatorin in zu engen rosafarbenen Jeans moderiert die Band an, als käme nun ein Auftritt einer Tennie-Band in der Mini-Playback-Show. Würg!

Die Band startet mit "Trouble" vom 2011er Meisterwerk "DMD KIU LIDT". Das Publikum, das die Österreicher nicht kennt, ist irritiert, "Singt der nun deutsch, österreichisch oder englisch????", aber es sind auch einige Gesichter zu erkennen, die man auch im G9 schon gesehen hat - Gruß an den Herrn (s. Foto) mit der gleichen Frisur wie ich, der mir beim Ruf nach "Marathon" freundlich zugelächelt hat. Gute Frisur, guter Geschmack :-).

Natürlich sind die, nennen wir es mal massenkompatibleren - auch wenn der Begriff für Ja, Panik-Stücke eigentlich nicht wirklich zutrifft - Songs vom aktuellen Album "Libertatia" der Schwerpunkt des Sets. Ich freue mich über "Post Shakey Time Sadness", "Chain Gang", "Dance the ECB", "Chain Gang", "Libertatia" und besonders über "Alles leer" und "Time Is On My Side".

Leider drängt die Zeit, weil wir den Support von Conor Oberst, DAWES auch unbedingt hören wollen und Frau H. bestimmt schon verzweifelt vor dem Gloria wartet während ihr Ticket in meiner Tasche steckt :-(. Nach einem ausgiebigen SMS-Verkehr heißt es deshalb - passenderweise kurz nach "Au Revoir" - Abschied nehmen. Während wir durch die fast verlassene Ehrenstrasse Richtung Gloria pilgern, kann man Ja, Panik noch spielen hören. Seufz, aber besser konnte der Abend eigentlich nicht beginnen, auch wenn ich gerne ein paar Songs aus der Frühzeit der Band gehört hätte - da gibt es ja auch einige, die man durchaus einem Umsonst-Publikum vorsetzen kann ("Venedig", Zwischen 2 und Vier").


Der schon etwas säuerlich wirkenden Frau H. (sie kann dem Wiener-English-Slang von Herrn Spechtl leider überhaupt nichts abgewinnen) schnell das Ticket übereicht und rein in den Club, wo die DAWES bereits spielen.

Bereits nach wenigen Minuten steht mein Urteil über die Band fest. Abgedroschener US-Rock mit Countyflair und einer unerträglichen Portion Pathos - irgendwie zwischen Bruce Springsteen (ja, ein paar gute Songs hat er schon) und den nervenden Eagles. Man sieht förmlich das US-Publikum mit Baseball-Caps und riesigen Popcorn-Eimern vor sich.

Boaah, überhaupt gar nicht my kind of shit!!! Very schrecklich, obwohl wir als brave Konzertgänger uns natürlich vorinformiert hatten und im vorab der Song "Fire away" uns allen gefiel!

Die Überraschungs des Abends ist dann als CONOR OBERST mit einem übergroßen Schlapphut, im selbstverständlich ausverkauftem Gloria, die Bühne betritt und ich bemerke, dass der Schlagzeuger definitiv der gleiche ist, wie der dieser schrecklichen Vorband. Und einige Minuten später war klar, die DAWES sind in Komplettbesetzung an diesem Abend die Begleitband des sensiblen, melancholischen Songwriters Conor Mullen Oberst. Sachen gibts, die gibts doch gar nicht!

Aber was solls, Conor hat schon mit allen möglichen Musikern (Mystic Valley Band, Bright Eyes, Monsters Of Folk) gespielt und was zählt, ist in erster Linie das Songwriting und in dieser Disziplin spielt Herr Oberst auf Champions League Niveau und dass die Herren von den Dawes unmusikalisch sind, hat ja keiner behauptet.

Mein treuer Konzertbegleiter C. hatte Herrn Oberst vor einiger Zeit in ziemlich derangierter Verfassung erlebt, aber heute Abend strotzt der kleine Mann aus Nebraska vor Kraft und Spielfreude.

Aber man merkt schon, dass die Band, ob von Conor gewollt oder nicht, deutlich dicker mit dem Pinsel aufträgt, als es auf der aktuellen Platte "Upside Down Mountain" üblich ist. So wird der Opener "Time forgot" deutlich opulenter vorgetragen und es dauert wirklich etwas bis ich den Song identifizieren kann. Der erste Teil des Konzerts wird dann auch größtenteils mit durchgedrücktem Gaspedal bestritten, wer wie ich auf die großartigen karg instrumentierten Balladen wartet, bei denen Conors brüchige Stimmung meiner Ansicht nach die optimale Wirkung entfaltet, muss sich noch gedulden. Das liest sich jetzt vielleicht so als hätte ich bis dahin keinen Spaß am Konzert, das ist aber keineswegs so, denn Conor spielt sich mit schier kindlicher Freude kreuz und quer durch sein Schaffenswerk und die Dawes erfüllen artig ihre Aufgabe.

Herausragend bis dahin der Bright Eyes Songs "Soul Singer In A Session Band" von 2007, "Nikorette" (2009) ursprünglich mit the Mystic Valley Band aufgenommen und "Enola Gay" vom aktuellen Album.

Ob Conor weiß, dass gerade auf den Ringen zeitgleich ein kleines Musikfestival statt findet, weiß ich nicht, aber sein dezenter Wutausbruch ["Fucking Festis!"] über Publikum, welches nur wegen des Events und nicht wegen der Musik zu Festivals geht, spricht mir aus der Seele und lässt mich auch direkt an die unzähligen Event-Fans bei der gerade erst abgeschlossenen Fußball-WM denken. Wenn man etwas liebt ist dieses Verhalten für einen Fan schon schwer zu ertragen, wie muss es da erst für einen Musiker sein?

Zwei weitere Höhepunkte in einem, ich wiederhole mich gerne, fantastischen Konzert gab es noch. Erstens den zu spärlichem Licht solo vom Oberst am Keyboard im Orgel- statt Pianomodi vorgetragenen "Ladder Song", der eine Reihe von Songs einleitet, bei denen das Päärchenverhalten im Saal dramatisch hervortrat.

Und dann, ich hatte mir im Voraus verboten darauf zu hoffen, spielt der Oberst doch tatsächlich das magische, obwohl schon 1000mal gehörte und trotzdem unkaputtbare, wunderbare "First Day of my Life". Danach hätte Connor von mir aus sogar einen schlimmen John Denver Song zum besten geben können, ohne mir die Laune zu versauen. Sie wissen, was ich meine? Der Zustand, wenn einem die Mundwinkel wie unterhalb der Ohren angetackert erscheinen und sich selbst dann nicht lösen würden, wenn einem mittelalterliche Foltermethoden zu Leibe rücken.



Über zwei Stunden verzaubert Conor Oberst an diesem Abend sein Publikum. Wer Hören (und Zuhause auch unbedingt Zuhören) kann und an diesem Abend vorher noch nichts von Conor gehört hatte, der hat nun die wundervolle Aufgabe den nicht gerade kleinen Backkatalog des Ausnahmekünstlers aufzuarbeiten. Alles Gute nochmal zum Geburtstag Bodo ;-).

@ Oberst Conor: Beim Rolling Stone Weekender sind NUR Menschen, die Musik lieben und das diesjährige Line-Up hat noch große Lücken!


Samstag, 2. August 2014

NEW SONGS Vol. 59: FOXYGEN and STAR POWER ... GRAVEYARD TRAIN ... HOORAY FOR EARTH ... AGES AND AGES

FOXYGEN and STAR POWER / How can you really ... GRAVEYARD TRAIN / Hollow (LP) +  Takes one to know one (LP) ... HOORAY FOR EARTH / Keys + Rays ... AGES AND AGES / Divisonary (Do the right thing)

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FOXYGEN and STAR POWER / How can you really


Die letztjährigen Abräumer FOXYGEN (Alben des Jahres 2013) sind zurück, aber nicht alleine, sondern im Verbund mit Star Power, einer, wenn ich den Pressetext richtig verstehe, fiktiven Punkband, die aber gleichzeitig auch ein Radiosender ist, den es nur gibt, wenn du daran glaubst. Noch Fragen?

"How can you really" hat nicht die Mörder-Hookline wie "San Francisco" oder "Shuggie" und es ist deutlich weniger verschachtelt als "On Blue Mountain", aber es ist trotzdem ein extrem fluffiger typischer Foxygen-Song, den man nach zweimal Hören im Ohr kleben hat.

Die bereits veröffentlichte Track-List für "And Star Power" umfasst übrigens 24 Songs! Das Doppelalbum wird laut Jagjaguwar am 14. Oktober erscheinen, bis dahin heißt es also für alle Foxygen-Nerds: Herr, lass es Oktober werden!


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GRAVEYARD TRAIN / Hollow (LP) + Takes one to know one (LP)


Ihr denkt Bosshoss sind echte Cowboys? Ihr denkt echte Cowboys kommen aus den Vereinigten Staaten, bestenfalls aus Texas oder Colorado? Alles Quatsch!

Die derzeit dreckigsten Cowboys kommen aus Melbourne, sie sind sieben an der Zahl und live gestählt durch zahlreiche Kneipentouren und Festivals. Die Jungs haben nach der Eroberung des australischen Kontinents (das Album erschien dort bereits 2012) die Pferde gesattelt, um den Rest der Welt mit ihrem staubigen CountryAlternativeRock zu beglücken.

Damit die Eroberungen rasch stattfinden gibt es neben dem schon als Klassiker gehandelten "Hollow" auch ganz frisches Material in Form des brandneuen Albums "Takes one to know one".

Also Colt-Halfter umschnallen, Whiskyflasche öffnen, Stiefel auf den Tisch, "Hollow" oder "Takes one to know one" auflegen, Volumeregler nach rechts drehen und  eintauchen in die makabere, düstere und wilde Westernwelt der Australier.




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HOORAY FOR EARTH / Keys + Rays


Das Quartett HOORAY FOR EARTH um Mastermind Noel Heroux begann sich 2005 in Boston zu formieren, siedelt 2007 nach New York über und veröffentlichte bisher drei Platten mit Songs zwischen NoisePop und IndieRock.

Der Song "Keys" ist die erste Singleauskopplung aus dem soeben erschienen, bei uns allerdings nur als Import erhältlichen Albums "Racy". "Keys" überzeugt vor allem durch die gelungenen sich temporär zur Hymne aufbäumenden Gitarrenteppiche, dabei ist der Song aber der poppigste des ganzen Albums. Deutlich kraftvoller und beeindruckender ist zum Beispiel "Airs" und der Kracher des Lonplayers ist der dem Album den Titel gebende Track "Racy". Very fein!




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AGES AND AGES / Divisonary (Do the right thing)


Simple Melodie, simple Instrumentierung, simpler Gesang, simple Botschaft (Durchhalten!) und trotzdem mehr als ein einfacher Song ist der Band AGES AND AGES aus Portland in Oregon gelungen. Fast alle Songs auf dem zweiten Album "Divisonary" sind ähnlich gestrickt. Fast bei allen Songs kann man spätestens nach dem zweitenmal Hören mitsingen (lauthals) und irgendwie verströmt das Ding gute Laune, ohne groß den Spaßmacher zu geben.

Die Band besteht aus acht Mitgliedern und versteht sich als ein kreatives Kollektiv, das musikalische Botschaften verbreiten will. Dabei besteht die Kunst der Band darin, ihre Musik simpel klingen zu lassen, was sie in der Regel aber gar nicht ist, und wenn das keine Kunst ist ...







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Freitag, 1. August 2014

J. MASCIS / Tied to a Star

Helden bleiben Helden! Auch wenn das ein oder andere Konzert von DINOSAUR JR in letzter Zeit zu wünschen übrig ließ, ist und bleibt Joseph Donald Mascis Jr., kurz J. MASCIS einer meiner Helden des Alternativen Rock.

Nicht erst seit dem 2011 erschienenen Solo-Albums "Several Shades of Why" entwickelt sich Mascis immer mehr zum Singer/Songwriter, der statt mit schrammelnden E-Gitarren mit einer akkustischen Gitarre und seiner unvergleichlichen Stimme sich, zusätzlich  zu den alten Dinosaur JR-Fans, ein neues Publikum erschließt.

Das am 29. August in Deutschland erscheinende Album "Tied to a Star" versteht sich als Fortsetzung (was auch deutlich am Cover-Design zu ersehen ist) des bereits erwähnten 2011er Albums "Several Shades of Why" und beginnt folgerichtig mit der Ballade "Me again". Wem es gelingt bei dieser Nummer, die vorwiegend aus Mascis Stimme und einer akkustischen Klampfe besteht, nicht an ein loderndes Lagerfeuer und eine Flasche Bier zu denken, der ist wahrscheinlich schon SPD-Mitglied (wahlweise auch CDU oder FDP) oder Couch-Potato mit Privatfernsehanschluss. Würde man versuchen "Me again" in einem Wort zu beschreiben, müsste ich mich entscheiden zwischen "wehmütig" und "sehnsuchtsvoll". Beides Worte, die man auch wunderbar mit der britischen Songwriter-Legende Nick Drake verknüpfen kann, die mir wie schon beim letzten Mascis-Soloalbum beim Hören des neuen Werkes im wieder in den Sinn kommt.

Der zweite Song des Albums "Every Morning" wurde ja bereits vorab Anfang Juni veröffentlicht und von mir bereits in den NEW SONGS Vol. 54 besprochen. Alles, was ich da geschrieben habe, kann so stehen bleiben, hinzufügen möchte ich nur, dass je öfter man das Stück hört, man es sich auch immer besser im Set von Dinosaur JR mit kleinen fein akzentuierten Gitarrenwänden vorstellen kann. Alternativ könnte ich auch mit einer Coverversion von The Horrors leben ;-)

Auf "Heal the Star" klingt die akkustische Gitarre nicht so rein und unschuldig wie beim Einstiegssong, der Anschlag ist härter und steigert sich innerhalb des Songs. Nach dreieinhalb Minuten treibt ein Schlagwerk-Rhythmus die Gitarre scheinbar in die Ekstase, also Augen zu und mit den Armen wedeln. Mit "Wide Awake" brennt wieder das Lagerfeuer, aber Mascis teilt sich die Vocals im Refrain mit Chan Marshall (Cat Power) und wieder gelingt es Masics mit einfachen Akkorden und gekonnten Wechseln im Gitarrenspiel eine großartige Nummer zu basteln, getreu dem Motto "warum kompliziert, wenn es auch einfach geht".



Bei "Stumble" darf die elektrische Gitarre wieder etwas mehr Radau machen. Mascis Stimme klingt fast etwas höher als gewohnt und wenn beim Gesang jemand sich an Nirvanas Unplugged-Album erinnert, sei noch mal erwähnt: Dinosaur JR waren Wegbereiter für Kurt Cobains Combo und nicht umgekehrt! "And then" again Campire-Romantik. Ja, natürlich klingt der Song beim ersten Hören ähnlich wie eingie andere auf den beiden letzten Solo-Alben, aber es sind die feinen Nuancen, die sich peu à peu herausschälen und dann die Songs differenzieren und einzigartig machen.

Ein reiner Instrumental-Songs ist das für Js Verhältnisse sehr auf Rhythmus aufgebaute "Drifter". Anschließend folgt mit "Trailling Off" aber wieder ein typisch sehnsuchtsvoller Song, der alles beinhaltet, was den mittlerweile schlohweißen Gitarristen (der übrigens erst 49 Lenze zählt) aus Massachusetts ausmacht.

Fast nahtlos fließt "Come Down" in den vorhergehenden Song über, das Spiel mit den Saiten wird etwas virtuoser, die Stimme hält sich zurück, haucht nur zart die Silben, um dem Saiteninstrument genügend Platz zu lassen. Der letzte Song des Albums "Better Plane" ist ebenso zurückhaltend wie seine Vorgänger, variiert elegant mit laut und leise und birgt sogar Klavierklänge. "Very fein" wie es in speziellen Fachkreisen so schön heißt, wenn etwas nahezu perfekt ist.

Fazit: Das Mastermind, der Dino des AlternativRocks weiß, was er kann und deswegen tut er das, was er kann. Man könnte ihm zur Last legen, dass er die sichere Route geht, aber warum sollte er sie verlassen, wo doch alles so vortrefflich funktioniert. Also von mir aus bitte weiter so verehrter Herr Mascis und wenn Sie es mit Ihrem Alterswerk so weitertreiben, bekommen Sie neben den vielen Wikipedia-Querverweisen zu AlternativRock, NoiseRock, Shoegazing und Grunge sicher auch noch etliche Einträge, die sie mit Nick Drake und Co. verknüpfen.